Für immer und eh nicht (German Edition)
nicht gegessen.«
»Das nehme ich mit.«
»Aber es ist doch noch viel zu früh.« Sie blickte zur Uhr.
Es war mir gleichgültig. Hauptsache, ich hatte irgendwo meine Ruhe. »Ich muss noch die Post durchgehen«, log ich deshalb und schnappte mir meine Tasche. »Bis heute Abend!«
»Pass auf dich auf, mein Kind.«
Als ich mich zu ihr umblickte, studierte sie bereits wieder die Todesanzeigen.
Meine Apotheke lag in einem Stadtteil von Wiesbaden, der mit seinen vielen kleinen Fachwerkhäusern und dem Marktplatz noch sehr dörflich wirkte.
In einem der alten Häuser hatte die Familie Breitling vor zweihundert Jahren eine Apotheke eröffnet und diese über mehrere Generationen hinweg geführt. Der letzte Herr Breitling war ledig und kinderlos geblieben, und so hatte ich die Apotheke vor zwei Jahren von ihm übernehmen können. Ich hatte mich auf den ersten Blick in die Räumlichkeiten verliebt.
Die Regale waren aus dunklem Holz und bedeckten die Wände bis zur Decke. In den oberen Fächern wechselten sich weiße Porzellangefäße mit alten Mörsern, Waagen und antiken Mischbehältern ab. In der Mitte standen dicke Bücher über Arzneikunde und Heilpflanzen, fein säuberlich nach Erscheinungsjahr sortiert. Die unteren Fächer waren gefüllt mit bunten Packungen, Tuben und Flaschen. Vor dem Regal prangte der gläserne Verkaufstresen mit dem einzigen Einrichtungsgegenstand, der nicht schon mehr als hundert Jahre alt war – einem modernen Computer. Es erfüllte mich jedes Mal mit Stolz, wenn ich morgens die Apotheke betrat. Dies war mein Reich, das ich mir mühsam erarbeitet hatte und in dem alles ausschließlich nach meinen Regeln lief. Und gerade nach den letzten chaotischen Tagen war es heute besonders tröstlich, dass zumindest hier alles so war, wie es sein sollte.
Gut gelaunt legte ich meine Tasche im Pausenraum ab, schaltete die Kaffeemaschine ein und sah die Post durch. Nichts wirklich Dringendes. Zufrieden ließ ich mich auf den Hocker am Tresen nieder, trank Kaffee und biss in mein Milchbrötchen.
Ich hatte das Frühstück fast beendet, als mein Handy klingelte. Es war Raphael.
»Guten Morgen, meine Süße!« Er suchte offenbar immer noch nach dem richtigen Kosewort.
Schnell schluckte ich die Reste des Brötchens hinunter. »Guten Morgen!«
»Hast du gut geschlafen?«
»So gut, wie man auf einem Wohnzimmersofa schlafen kann.«
»Du Arme! Hast du wenigstens von mir geträumt?«
»Äh …« Ehrlich gesagt hatte ich von Sebastian, Harald und Franz-Ferdinand geträumt, die sich eine wilde Verfolgungsjagd mit einem sehr alten Herrn geliefert hatten, der sich später als Gabriel zu erkennen gab. »… im weitesten Sinne, ja.«
»Ich vermisse dich.«
»Ich dich auch.«
»Bist du schon in der Apotheke?«
»Ja.«
»Wenn ich es schaffe, komme ich später vorbei. Ich bin furchtbar neugierig darauf, wie du deinen Tag verbringst. Das ist alles so neu für mich!«
Für mich war es auch neu, dass sich ein Mann derart für mein Leben interessierte – nicht nur für die freien, unbeschwerten Stunden, sondern auch für den ganz normalen, langweiligen Alltag. Raphael war wirklich etwas ganz Besonderes!
»Ich warte auf dich«, versicherte ich ihm deshalb sehnsüchtig und legte auf.
Fünf Minuten später kam meine Mitarbeiterin Stefanie in die Apotheke gestürmt, wie immer etwas gehetzt, aber mit glänzender Laune.
»Das Freibad hat wieder geöffnet«, verkündete sie und schüttelte ihre langen, roten Haare. Einzelne Wassertropfen flogen umher.
»Offensichtlich hast du das gleich ausgenutzt«, murmelte ich und wischte mir ein paar Tropfen aus dem Gesicht.
Stefanie nickte. Sie war gut zehn Jahre jünger als ich, groß, schlank und durchtrainiert und damit das genaue Gegenteil von mir. Jeden Morgen joggte, turnte oder schwamm sie eine Stunde, bevor sie zur Arbeit erschien. Ich bekam regelmäßig ein schlechtes Gewissen, weil ich überhaupt keinen Sport trieb, während Stefanie nicht genug davon zu bekommen schien.
»Ich habe heute meinen persönlichen Rekord im Brustschwimmen gebrochen!«
»Gratulation an deine Brust.«
Sie grinste. »Danke.«
Ich folgte ihr in den Pausenraum. »Wie ist es hier in den letzten Tagen gelaufen?«
»Gut. Herr Breitling und ich hatten alles im Griff.« Der alte Herr Breitling half immer dann in der Apotheke aus, wenn ich nicht da war. Er vergötterte Stefanie, und sie konnte ihn problemlos um den kleinen Finger wickeln. Eigentlich gelang ihr das bei allen Männern. Es war
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