Für immer und eh nicht (German Edition)
den Zollstock zu meinen Füßen. »Kannst du mir den mal geben? Danke.« Er klappte das Metermaß auseinander. »Jetzt bist du dran: Eine Stunde später ist es nur halb so lange bis Mitternacht wie zwei Stunden früher. Wie spät ist es?«
»Leute!« Sebastian stand an der Motorsäge und verdrehte die Augen. »Könnt ihr nicht mal daran denken, dass hier auch normale Menschen arbeiten, denen bei eurer Unterhaltung ganz schwindelig wird?«
Ich ignorierte ihn. »Das ist einfach«, sagte ich zu Harald. »Es ist 20 Uhr.«
»Siehst du? Du bist genauso schnell.«
Zufrieden richtete ich mich auf und betrachtete meine schmutzigen Knie. »Heute ist es besonders heiß und staubig hier.«
»Dann warte mal, bis ich mit dem Sägen der zusätzlichen Deckenbalken beginne«, warf Sebastian ein. »Danach werden wir aussehen wie in Ei gewendet und paniert.«
Und wirklich, als er die Motorsäge bediente, flog eine Wolke aus feinsten Sägespänen durch den Raum. Sehr bald waren wir voller Holzstaub.
»Jetzt haben wir alle dieselbe Haarfarbe«, sagte ich zu Harald in einer Säge-Pause und deutete auf unsere Köpfe. »Eiche rustikal.«
Er lachte. »Das verdeckt wenigstens die grauen Haare.«
»Du hast graue Haare?«
»Natürlich. Guckst du mich nie an? Seit wie vielen Jahren kennen wir uns jetzt?«
Ehrlich gesagt hatte ich ihn wirklich noch nie richtig beachtet. Er war immer nur die bessere berufliche Hälfte meines Bruders gewesen. Nett, freundlich und grundanständig. Der Typ Mann, zu dem man sich auf jeder Party setzen konnte, ohne gleich befürchten zu müssen, angemacht zu werden. Im Gegenteil – ich hatte schon einige von Sebastians Geburtstagsfeiern in seiner Gesellschaft verbracht und mich dabei stets gut amüsiert. Außerdem rechnete ich es ihm hoch an, dass er beim Umbau half.
Als ich ihn jetzt genauer betrachtete, stellte ich überrascht fest, dass es sich lohnte: Harald mochte ungefähr so alt sein wie ich, hatte eine sportliche Figur und trug kurze Hose und T-Shirt. Seine Haare wiesen an beiden Stirnseiten leichte Geheimratsecken auf, und das Gesicht hätte eine Rasur vertragen können. Seine Augen jedoch leuchteten hellgrau und klar und hatten den typisch gründlichen Polizisten-Blick. Momentan waren sie aufmerksam auf mich gerichtet. »Und? Bist du zufrieden mit dem, was du siehst?«
Ich nickte verlegen und ließ mich langsam wieder auf die Knie sinken. Zum Glück klingelte in diesem Moment mein Handy. Es war Raphael.
»Was machst du gerade, mein Mäuschen?«
Mäuschen? Das wurde ja immer schrecklicher! Bei Gelegenheit musste ich ihm mal sagen, dass ich Koseworte eigentlich hasste.
»Ich bin bei meinem Vater und helfe. Und du?«
»Ich bin ausgeritten und werde jetzt noch ein wenig spazieren fahren.«
»Warum?«
»Weil es Spaß macht. Ich hätte nie gedacht, dass Autofahren so toll sein kann.«
Wovon sprach er? Ich hasste Autofahren.
»Bärchen? Bist du noch dran?« Anscheinend hatte er Gefallen an verniedlichenden Tiernamen gefunden. Schrecklich.
»Ja«, antwortete ich kurz angebunden.
»Wann soll ich morgen bei dir sein? Und wo möchtest du essen gehen?«
Sebastian begann wieder zu sägen.
»Um kurz vor acht. Und wohin wir gehen, ist egal. Überleg dir etwas!«, brüllte ich ins Telefon.
Raphael erwiderte etwas, was ich nicht verstand.
»Sebastian!«, schrie ich. »Hör mal auf mit Sägen!«
Sebastian stellte die Säge ab und drehte sich neugierig zu mir um.
»Sie telefoniert mit ihrem Freund«, flüsterte Harald ihm zu, laut genug, dass mein Vater es hören konnte und nun seinerseits das Werkzeug sinken ließ.
Toll! Jetzt hatte ich drei Zuhörer.
»Ich möchte das nicht entscheiden. Mir ist alles recht, was dir gefällt«, sagte Raphael am anderen Ende der Leitung.
»Mir fällt aber spontan kein Restaurant ein. Warum entscheidest du nicht für uns?«
»Weil ich dir jeden Wunsch von den Augen ablesen möchte. Daran kannst du dich schon mal gewöhnen.«
»Es geht doch nur um ein Abendessen«, seufzte ich.
»Du sollst entscheiden«, wiederholte er hartnäckig.
Ich fuhr mir ungeduldig mit der Hand durch die Haare, und sofort rieselte Sägemehl auf meine Schultern. »Verdammt!«, murmelte ich.
»Wie bitte?«
Immer noch beobachteten mich drei Augenpaare. Ich musste das Telefonat möglichst schnell beenden. »Lass uns in den ›Goldenen Engel‹ gehen. Den wollte ich immer schon mal ausprobieren. Ein ausgezeichnetes italienisches Restaurant.«
»Goldener Engel?« Er gluckste. »Und der
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