Für immer und eh nicht (German Edition)
meine Mutter war ich die schlecht gelaunte Tochter, mit der sie um den besten Platz im Bad, um die interessantesten Seiten der Zeitung und um die Herrschaft über die Fernbedienung kämpfen musste.
In der Apotheke verwandelte ich mich in eine kompetente und freundliche Ratgeberin. Und das nicht nur für die Kunden, sondern auch für Steffi, die bislang vergeblich auf den Anruf meines Bruders gewartet hatte.
»Gib endlich auf!«, sagte ich zu ihr, als sie sich wieder einmal darüber beklagte, dass er sich nicht bei ihr meldete.
»Nein. Ich wette, er erinnert sich noch daran. Wahrscheinlich ist er jeden Tag auf der Baustelle und dann einfach zu müde, um bei mir anzurufen.«
»Das glaube ich nicht. Er sieht eigentlich immer recht munter aus, wenn wir uns abends verabschieden.«
»Kannst du ihn bitte mal auf mich ansprechen?«
»Bestimmt nicht. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du viel zu gut für ihn bist?«
»Viele Male.« Sie grinste. »Aber auf diesem Ohr bin ich taub.«
Zum Glück hatte jeder Tag eine Mittagspause. Diese Zeit gehörte ganz allein Raphael. Seit ich abends immer bei meinem Vater auf der Baustelle half, war der Mittag für uns die einzige Gelegenheit, ein paar ungestörte Momente zu verbringen.
»Wenn der Umbau beendet ist, habe ich alle Zeit der Welt für dich«, hatte ich Raphael noch am Montagabend am Telefon versichert, als ich verschmutzt und furchtbar müde von der Baustelle kam.
»Bis dahin sorge ich dafür, dass du die besten Mittagspausen deines Lebens verbringst«, hatte er geantwortet. Und tatsächlich hatte er nicht zu viel versprochen.
Jeden Mittag um Punkt zwölf Uhr stand er mit seinem Auto vor der Apotheke, um mich für zwei Stunden an die schönsten Plätze Wiesbadens zu entführen. Das Wetter blieb sonnig und warm und bildete die perfekte Kulisse für unsere Ausflüge.
Am Dienstag überraschte er mich mit einem Picknick im Schlosspark. Für Mittwoch hatte er den besten Tisch auf der Café-Terrasse des Kurhauses reserviert. Und am Donnerstag schließlich mietete Raphael ein Motorboot und fuhr mit mir ein kleines Stück auf dem Rhein.
»So könnte es ewig weitergehen«, murmelte ich, als er das Boot langsam wieder in den Schiersteiner Hafen steuerte. Ich hatte mich leicht gegen seine Schulter gelehnt und genoss den warmen Fahrtwind.
»Wohin darf ich dich morgen Mittag entführen?«, wollte Raphael wissen und legte den Arm um meine Schulter.
Ich schüttelte bedauernd den Kopf. »Morgen habe ich leider keine Zeit. Ich will schon am Mittag Schluss machen und gleich zur Baustelle fahren. Wir fangen mit dem Deckenholz an.«
»Was hältst du davon, wenn wir uns dann am Abend zum Essen treffen? Ich hätte Lust, dich groß auszuführen.«
»Du hast mich die ganze Woche schon groß ausgeführt.«
»Trotzdem, abends ist das etwas anderes. Ich möchte es so gern! Einverstanden?«
Ich nickte glücklich. Nach einer Woche, in der ich abends mit den Männern im Garten gegessen hatte und anschließend regelmäßig in Anwesenheit meiner Mutter vor dem Fernseher eingeschlafen war, freute ich mich außerordentlich auf einen freien Abend mit Raphael.
Immerhin kamen wir mit dem Umbau gut voran. Und die Rollen auf dem Dachboden waren klar verteilt. Mein Vater vergab die Aufträge, kontrollierte unsere Arbeit und kümmerte sich um die Aufgaben, die er uns nicht zutraute und lieber selbst erledigen wollte. Sebastian war der handwerklich Begabteste von uns drei Helfern und übernahm mit Vorliebe knifflige Tätigkeiten, die Fachkenntnisse erforderten. Harald und ich hingegen waren reine Befehlsempfänger, die mechanisch und ohne große Begeisterung das ausführten, was uns aufgetragen wurde. Meistens arbeiteten wir beide zusammen an einer Sache und vertrieben uns die Zeit mit kleinen Mathematik-Rätseln. Zu meinem Ärger fand Harald die Lösung meistens schneller als ich.
»Es gibt zwei Möglichkeiten, eine dreistellige Zahl mit einer Zweistelligen zu multiplizieren, so dass das Ergebnis 17 820 ist«, forderte ich ihn am Donnerstagabend heraus.
»Dürfen die Ziffern mehrfach vorkommen?« Er sah nicht einmal von der Leiste auf, die er gerade verlegte.
»Nein.«
»Die Zahlen sind 396 und 45 sowie 495 und 36.« Das kam wie aus der Pistole geschossen.
»Richtig! Wie machst du das so schnell?«
»Keine Ahnung.« Er zuckte mit den Schultern. »Und du? Wie machst du das?«
»Ich bin viel langsamer als du.«
»Das stimmt nicht.« Jetzt sah er doch von der Arbeit auf und deutete auf
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