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Fuer immer und ledig - Roman

Fuer immer und ledig - Roman

Titel: Fuer immer und ledig - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henrike Heiland
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Schwesterleins: »Aber ich bin doch schon ein Mädchen! Ihr könnt doch nicht einfach noch eins haben!« Begleitet von mehreren Litern Tränenflüssigkeit, einem knallroten Gesicht und geballten Fäustchen. Mehrfach soll auch der Satz »Die will ich nicht haben!« gefallen sein.
    Heute hat man so schöne Begriffe wie »Entthronungstrauma« für das, was sich bei meiner Schwester Fina - eigentlich Josephina - andeutete. So richtig sollte
es aber nicht zu diesem Trauma kommen. Denn weder unsere Eltern noch die versammelten Großeltern ließen es zu, dass sich Fina auch nur einen einzigen Tag lang entthront fühlen musste. Sie kümmerten sich nur noch mehr um sie und überhäuften das arme, enttäuschte Kind mit Geschenken und Aufmerksamkeit, während ich in meinem hellblauen Strampler an meinem Fußballmobile herumspielte. Mein Vater gab die Hoffnung, aus mir fußballfähigen Nachwuchs zu machen, übrigens erst sehr spät auf: Noch an meinem zehnten Geburtstag bekam ich ein HSV-Fan-Trikot geschenkt und wurde mindestens zweimal pro Spielzeit zu einem Heimspiel ins Stadion gezerrt. (Das erklärt vermutlich meine heutige Sympathie für den FC St. Pauli.)
    Zu allem Überfluss wuchs Fina von einem niedlichen kleinen Mädchen zu einem hübschen großen Mädchen heran, nur um pünktlich zur Pubertät eine atemberaubende Schönheit zu werden - von der Sorte, die morgens nach einer durchzechten Nacht aus dem Bett kriechen kann und dabei trotzdem noch besser aussieht als jedes Vogue-Model.
    Meine Klassenkameradinnen waren übrigens immer sehr neidisch auf mich, weil ich ständig Besuch von den Jungs aus meinem Jahrgang bekam. Aber kein Einziger war darunter, der sich für mich oder wenigstens meine Plattensammlung interessiert hätte. Sie hofften alle ausnahmslos, einen Blick auf meine Schwester erhaschen zu können. Wenn sie großes Glück hatten, öffnete
sie ihnen die Tür. Wenn sie weniger Glück hatten, sahen sie sie auf dem Flur. Meine Zimmertür musste ich immer offen lassen, für den Fall, dass meine Schwester vorbeischwebte. Es war also kein Wunder, dass ich mir nichts sehnlicher herbeiwünschte als ihren Auszug, mit dem sie sich viel zu lange Zeit ließ. Sie hatte immer irgendwelche Freunde, bei denen sie häufig übernachtete, weshalb sie keine allzu große Notwendigkeit sah, sich um eine eigene Wohnung zu kümmern. Aber mit einundzwanzig war sie endlich so weit und ging zu meinem größten Entzücken sogar ins Ausland. Ich war zu der Zeit siebzehn und natürlich noch ungeküsst. Wie hätte es anders sein sollen, wenn sich die Jungs immer nur zu mir und meiner offenen Zimmertür einluden. Aber mit siebzehn war ich sie nun endlich los und konnte hoffen.
     
    Worauf ich hoffte, war mir schon lange, bevor ich siebzehn wurde, klar. Es heißt ja, Kinder suchen sich immer Nischen, die sie besetzen können. Durch Fina war natürlich eine ganze Menge bereits besetzt. Fina war vor allem anderen hübsch, also war ich nicht an Mode und Make-up interessiert. Fina war sehr sportlich. Fina war gut in Naturwissenschaften. Fina lernte mühelos Fremdsprachen. Fina konnte sogar ganz ausgezeichnet malen, basteln, häkeln und nähen.
    Das Einzige, wozu Fina überhaupt keinen Zugang hatte, war Musik. Zum Glück fiel mir alles, was mit Musik zu tun hatte, in den Schoß. In einer Phase trotziger
Selbstüberschätzung hatte Fina versucht, Klavier und Geige zu lernen. Beides hatte sie nach einem halben Jahr wutschnaubend aufgeben müssen, weil ihr die Lehrer völlige Talentlosigkeit bescheinigten. So etwas kommt bei einem neunjährigen Kind ausgesprochen selten vor, da sich die Lehrer doch gerne noch eine Weile bezahlen lassen, bis auch die taubsten Eltern einsehen müssen, dass es keinen Zweck hat. Finas Versuche, auf der Geige herumzukratzen oder den Tasten halbwegs harmonische Tonfolgen zu entlocken, waren aber so nervenaufreibend, dass der Musikschulleiter in seinem Büro ein ernstes Wort mit unseren Eltern sprach. Die beiden hörten sich mit verkniffenen Gesichtern an, was man skandalöserweise über ihren ansonsten auf allen Gebieten höchstbegabten Liebling zu sagen hatte. Und während Fina mal wieder literweise Tränen vergoss, dunkelrot anlief und die Hände zu Fäusten ballte, geriet ich einmal mehr in absolute Vergessenheit.
    Ich trieb mich auf den Gängen der Musikschule herum, lauschte hier und da, tappte in einen leeren Unterrichtsraum, kletterte auf den Klavierstuhl und fing an, etwas von dem nachzuspielen, was man meiner

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