Fuer immer und ledig - Roman
Mutter, wegen dem Fußball, fand Vater, und wenn schon kein Hund, dann wenigstens auch keine Schwester, fand meine Schwester. Damals schrieb man 1980, und das mit dem Ultraschall hatte sich noch nicht so flächendeckend durchgesetzt. Eltern ließen sich noch gerne überraschen, was das Geschlecht ihres Kindes anging.
Meine Eltern mussten sich nicht überraschen lassen. Sie waren sich absolut sicher, dass ein Sohn unterwegs war. Schließlich hatte meine Mutter nicht wie damals, als sie mit Fina schwanger war, mit extremer Morgen-übelkeit zu kämpfen gehabt, schlief dafür aber im Schnitt
sechzehn Stunden am Tag. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Und einen Namen hatten sie natürlich auch schon für mich: Johannes. Mein Vater hatte ein kleines Perpetuum Mobile mit hübschen flauschigen Fußbällen gebastelt und in das hellblau gestrichene Zimmerchen über ein dunkelblaues Bettchen mit blau-weißen Bettbezügen gehängt. (Er war in seinem ganzen Leben nie etwas anderes als ein HSV-Fan gewesen.) Meine Mutter sah meiner Geburt sehr entspannt entgegen. Sie hatte so etwas ja schon mal mitgemacht, und ihre Mutter wiederum war der festen Überzeugung, dass es mit Jungs leichter ginge als mit Mädchen. »Die wollen schneller raus«, behauptete sie.
Deshalb war die Tasche fürs Krankenhaus bereits zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin gepackt und stand griffbereit neben der Haustür im Flur. Natürlich befanden sich neben Nachthemden und Unterwäsche für meine Mutter noch hellblaue Strampelanzüge darin. Für alles war also gesorgt. Und wie es eben ist, wenn man mit einem Jungen schwanger ist, platzte die Fruchtblase meiner Mutter eine Woche früher als geplant. Es war Mitte März, seit zwei Wochen hatte der Frühling schon erste zarte Farben in die Hamburger Vorgärten gezaubert, aber an dem Tag, als Mutters Fruchtblase platzte, kehrte der Winter für ein paar Stunden zurück. In nächtlichem dicken Schneegestöber kurvte mein Vater seinen Mercedes 200 D nach Altona zum Krankenhaus, schob seine schwangere Frau auf die Geburtsstation und legte sich auf eine Bank im Wartebereich,
um eine Runde zu schlafen. 1980 wurden zukünftige Väter noch nicht gezwungen, sich während der Geburt ihrer Kinder von ihren Ehefrauen zwischen unflätigen Flüchen anhören zu müssen, dass sie garantiert nie wieder Sex mit ihnen haben würden.
Bereits am frühen Morgen weckte ihn eine Krankenschwester und sagte: »Herzlichen Glückwunsch, Herr Baader, es ist ein Mädchen!«
Mein Vater rieb sich die Augen und brummte: »Nee, da haben Sie wohl was verwechselt, ich bekomme einen Jungen.«
Die Schwester, selbstverständlich so einiges von frischgebackenen Vätern gewöhnt, erklärte geduldig: »Frau Baader hat soeben einem kleinen Töchterchen das Leben geschenkt.«
Und mein Vater antwortete stur: »Dann sehen Sie doch nochmal auf der Station nach, ob irgendwo ein Junge zu finden ist. Den würden wir dann mitnehmen.«
Tatsächlich gab es sogleich einige Verwirrung bei meinen Großeltern beiderseits, die bereits Begrüßungsbänder mit »Unser lieber Johannes« und »Herzlich Willkommen, Johannes« gehäkelt hatten. Die Verwirrung war auch bei meiner Mutter, wie man mir später gerne an jedem Geburtstag erzählte, sehr groß, als ich ihr in den Arm gelegt wurde.
»Da fehlt doch was«, soll das Erste gewesen sein, was sie sagte, und das Zweite: »Wächst das noch nach?« Bis dann die milde Einsicht kam: »Na wenigstens kann sie die Kleider von ihrer Schwester auftragen.«
Sie hätten es sich einfach machen und mich kurzerhand Johanna nennen können, aber das taten sie nicht. Sie dachten noch einmal in aller Ruhe nach, den Schock über meinen ungehörigen Geschlechterwandel nach wie vor in den Gliedern, und entschieden sich schließlich für Ottilie. (Tilly, nicht nur für meine Freunde, sondern für alle. Wer auf die Idee kommt, mich Otti zu nennen, muss damit rechnen, in der Elbe versenkt zu werden.) Dass sie mich nach einer nicht gerade unbekannten Frauenrechtlerin benannt hatten, war ein Zufall, den sich meine gebeutelte Mutter lange nicht verzeihen sollte. (»Du heißt wie eine von diesen Feministinnen?«, jammerte sie. »Oh nein , du bekommst bestimmt nie einen Mann, und heiraten wirst du auch nicht!«)
Meine Schwester traf es wohl am härtesten, dass ich gemeines Ding mich entschieden hatte, ein Mädchen zu werden, obwohl ich doch unbedingt ein Junge hätte sein müssen. Ihre Reaktion auf die frohe Kunde eines gesunden
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