Fuer immer und ledig - Roman
kümmern. Einer der Maler wollte die Gestaltung und den Druck von Flyern und Postern übernehmen. So verteilten wir der Reihe nach alle Aufgaben, und ich rannte irgendwann los, um einer meiner Ideen nachzugehen.
Eine Viertelstunde später stand ich vor dem Rietmann-Ausstellungsraum und winkte durch die Glastür Meyer-Bergedorf zu, der mich sofort erkannte und mir freudestrahlend die Tür aufhielt.
»Frau Baader«, flötete er.
Ich hörte jemanden Klavier spielen. Den Grande Valse brillante von Chopin. Ich sah Meyer-Bergedorf an. »Wow. Kundschaft?«
Er lachte. »Spielt gut, was? Wenn er uns hört, hört er sofort auf. Wir müssen uns ganz leise anschleichen.«
Das taten wir. An dem Flügel, den auch ich gespielt
hatte, saß ein blonder Mann mit dem Rücken zu uns. Er spielte gut. Nicht technisch perfekt, ihm schien die Übung zu fehlen. Aber er hatte mehr Ausdruck, als so mancher meiner früheren Kommilitonen jemals erreichen würde. Ich schloss die Augen und hörte zu. Ich kannte das Stück gut, weil ich es unter anderem bei meinem Abschlusskonzert gespielt hatte. Und ich war fast schon neidisch auf diesen Mann, weil er einige Stellen, an denen mich damals nur die technische Herausforderung interessiert hatte, mit so viel Seele und Gespür für Details interpretierte, dass ich mir wünschte, ich hätte ihn damals schon spielen gehört. Zwei Minuten später war ich absolut davon überzeugt, jemandem zu lauschen, der so viel Liebe zur Musik und zu seinem Instrument hatte, dass ich noch eine ganze Menge von ihm lernen konnte. Herz war etwas, das sie uns an der Hochschule nicht beigebracht hatten. Nicht einmal in den Meisterklassen. »Entweder man hat es, oder man hat es nicht« war die Devise gewesen. Ich hatte immer geglaubt, dank meiner Begabung und schlicht durch meine Liebe zur Musik ausreichend Herz mitzubringen. Dieser Mann, der gerade mit deutlich weniger Fingerfertigkeit Chopin interpretierte, bewies mir, dass ich in Sachen emotionalem Ausdruck noch einiges an Spielraum nach oben hatte. Kurz: Ich war hingerissen.
Als er fertig war, ging es mir wie Marc und Meyer-Bergedorf am Sonntag, nachdem ich Ravels Ondine gespielt hatte: Ich konnte nicht anders, als laut zu klatschen
und »Bravo« zu rufen. Der Mann zuckte zunächst zusammen, drehte sich dann aber strahlend um.
Sein Strahlen verwandelte sich in Bestürzung, als er mich sah. Es war Oscars Vater. Der Mann, der unser schönes kleines Fabrikgebäude in kühle Zahnarztpraxen umwandeln wollte.
»Frau Baader«, stammelte er und nestelte an seinem Kragen herum. »Was machen denn Sie hier…? Das ist mir aber jetzt peinlich.«
»Ach, Sie kennen sich schon?«, fragte Meyer-Bergedorf begeistert.
Ich atmete tief durch. »Das kann man wohl sagen. Und offen gestanden hätte ich diesem Mann alles zugetraut, nur keinen Sinn für Musikalität. Davon hat Oscar dann ja wohl leider nichts abbekommen, was?«
»Oscar? Oh, ja, er ist ein bisschen …«, stammelte er. »Er kommt mehr nach …«
Ich unterbrach ihn. »Hören Sie, es ist eine Sache, den Jungen aus meinem Unterricht zu nehmen. Das ist okay. Da kann ich nicht viel zu sagen. Aber es ist eine ganz andere Sache, uns alle rauszuwerfen. Besetztes Haus hin oder her. Wir haben ja einen Grund, warum wir es besetzt haben. Und ich rede hier nicht von Recht, sondern von …« Ja, von was eigentlich? »… von moralischer Verantwortung. Für die Kunst. Jawoll. Aber davon verstehen Sie ja nichts.« Ich sah, wie er nach Luft schnappte, um etwas zu sagen, aber ich war gerade so in Fahrt, dass ich ihn nicht zu Wort kommen lassen wollte. »Wissen Sie, wie schwierig es ist, geeignete
Räumlichkeiten zu finden? Für Maler zum Beispiel, die ein bisschen was anderes machen als brave Aquarelle auf der Staffelei zu pinseln? Oder für Installationskünstler? Oder auch Proberäume für Leute wie mich? Ich habe nicht genug Geld, um mir eine Wohnung zu leisten, in die mein Flügel reinpasst. Und ich will ihn auch nicht verkaufen und mir dafür ein Klavier hinstellen!«
»Bloß nicht«, sagte er zu meiner Überraschung. Ich war kurz irritiert, kapierte dann aber, dass er wohl nur versuchte, mich mit einem ironischen Spruch aus dem Konzept zu bringen. Ich redete also schnell weiter.
»Es hat nicht jeder Geld zum Verbrennen, so wie Sie! Und Räume, die bezahlbar sind und noch halbwegs zentral liegen, wo sollen wir die herbekommen? Und dann kommen Leute wie Sie und machen alles kaputt! Wissen Sie aber, was mich am allermeisten
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