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Fuer immer und ledig - Roman

Fuer immer und ledig - Roman

Titel: Fuer immer und ledig - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henrike Heiland
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enttäuscht? Eben stand ich da und hörte Ihnen zu, und ich dachte, da spielt jemand mit einem ganz großen Herzen, mit unheimlich viel Gefühl und Sinn für Musik. Ja, das hab ich gedacht«, bekräftigte ich noch einmal, als ich sah, dass er knallrot wurde. »Und ich bin wirklich erschüttert, wie sehr ich mich getäuscht habe. Sie haben mit Sicherheit kein bisschen Herz.«
    Mein Herz wiederum klopfte mittlerweile so wild, dass ich zitterte. Meyer-Bergedorf und Oscars Vater starrten mich mit offenen Mündern an, und bevor sie etwas sagen konnten, hatte ich mich schon umgedreht und war aus dem Ausstellungsraum gestürmt.
    Auf dem Weg zur S-Bahn merkte ich, dass ich weinte.
Ich weinte nicht, weil wir vielleicht unser Künstlerhaus verlieren würden. Ich weinte um das Herz dieses Mannes, denn er hatte Herz, sonst könnte er nicht so spielen. Wie konnte er uns gegenüber so kalt und gewissenlos sein und gleichzeitig so viel Liebe zur Musik in sich tragen? Ich verstand es nicht. Es passte alles nicht zusammen. Was war nur mit diesem Mann geschehen?

13
    Wir hatten unter anderem beschlossen, ab sofort in der alten Fabrik zu wohnen. Es gab dort Toiletten und Waschbecken, und Jonathan, der ohnehin die meiste Zeit dort verbrachte, hatte schon vor ein paar Jahren eine Dusche eingebaut. Wir hatten einen Kühlschrank und eine Kaffeemaschine, jemand wollte elektrische Kochplatten und etwas mehr Geschirr organisieren. Der alte Besitzer der Fabrik hatte unsere Hausbesetzung mehr oder weniger geduldet, vor allem weil wir für Strom und Wasser bezahlt hatten und ihm dadurch kein Schaden entstanden war.
    Ich stopfte Klamotten, Handtücher, Bettzeug und anderen Krams in Taschen und Koffer, rief ein Taxi und zog mit ungebrochenem Kampfgeist in meinen Proberaum ein. Die Begegnung mit unserem ärgsten Feind steckte mir noch so in den Gliedern, dass sich Tiffy ernsthaft Sorgen um mich machte.
    »Er hat so wundervoll gespielt«, wiederholte ich zum wohl fünfzehnten Mal, während wir meinen Kram im Raum verteilten. »Wie kann das sein?«
    Tiffy zuckte die Schultern. »Tja, was die Geldgier so alles aus einem macht…«

    »Ich versteh’s nicht. Jemand wie er sollte per Gesetz nicht mal in die Nähe eines Musikinstruments gelassen werden. Schlechte Menschen dürfen nicht musikalisch sein. Paragraf 1 im Baaderschen Grundgesetz.«
    »Aber es ist doch gut für uns, oder etwa nicht?«, überraschte mich Tiffy. »Dann können wir ihn darüber vielleicht knacken?«
    Ich dachte darüber nach. »Meinst du wirklich? Ich meine, er hat seinen Sohn aus meinem Unterricht genommen …«
    »Der konnte doch eh nichts.«
    »Der konnte schon seit Jahren nichts, aber das hat weder ihn noch seine Frau gestört. Erst seit er mich zum ersten Mal gesehen hat, wurde alles ganz komisch.«
    Tiffy hob die Augenbrauen. »Also du kannst das jetzt nicht alles auf persönliche Antipathie schieben. Er kauft doch nicht dieses Gebäude, nur um es dir zu zeigen! Nimm dich mal nicht so wichtig!«
    »Quatsch.« Ich warf mich mit meiner Bettdecke auf das durchgesessene Sofa und ignorierte die Rückenschmerzen, die sich allein schon bei dem Gedanken einstellten, hier die nächsten zwei Wochen zu schlafen. »Schau mal. Sonst war immer nur seine Frau hier. Die hat ihm vielleicht gar nicht erzählt, wie es hier aussieht. Er hatte bestimmt die Vorstellung, sein Sohn wird jede Woche in einem Jugendstil-Altbau in Othmarschen abgeliefert, wo eine brave junge Dame in Rüschenbluse und flachen Riemchenschuhen seinen Oscar unermüdlich Tonleitern üben lässt. Und dann kommt er hierher,
der adelige Herr Immobilienmillionär, und denkt sich: Was denn, hier zwischen diesen gescheiterten Existenzen bewegt sich mein teurer Sohn?«
    »Wir sind keine gescheiterten Existenzen«, protestierte Tiffy empört.
    »Das ist doch seine Sicht! Lass mich mal weiterspinnen. Jedenfalls, er sieht diese Räume und ist alles andere als begeistert. Dann kommt er zu mir rein, und statt der gewünschten Dame mit Rüschenbluse und Riemchenschuhen sieht er mich. Ich entspreche vielleicht seinem Bild von einer durchgeknallten Punkerin …«
    »Du siehst doch nicht aus wie eine Punkerin!«, warf Tiffy ein.
    »Seine Sicht!«, wiederholte ich ungeduldig. »Er sieht die Docs und die kaputten Jeans und die wuscheligen Haare und denkt sich: Diese Frau hat einen schlechten Einfluss auf meinen Sohn, ich muss ihn retten!«
    »Dann hätte es gereicht, ihn aus dem Unterricht zu nehmen.«
    »Ja, aber dann kauft er sowieso

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