Fuer immer und ledig - Roman
richtige Kleidchen zu stecken. Mit der Pubertät war die Rebellion gekommen, und mein damaliger Lehrer und Wegbereiter für alles, was ich später noch erreichen sollte, hatte sich einen Dreck darum geschert, wie ich aussah. Dafür liebte ich ihn bis heute. Er hatte mit mir an meiner Technik und meinem Ausdruck gearbeitet und beides auf ein Level gebracht, das es den Professoren bei der Aufnahmeprüfung möglich gemacht hatte, über mein Outfit großzügig hinwegzusehen. Aber später im Studium, wenn es um öffentliche Auftritte ging, hatte es immer wieder nicht unbedingt dezente Anspielungen gegeben: »Wissen Sie, Tilly, wie heißt es so schön, das Auge isst mit.« (Ein sehr alter Professor.) Oder: »Die Zuschauer haben ja gewisse Erwartungen, was die Präsentation angeht.« (Eine Kommilitonin.) Oder: »Gerade als Frau ist eine gewisse Appetitlichkeit von Vorteil.« (Eine Veranstalterin.) Oder: »Zieh wenigstens einmal den üblichen Fummel an, und dann sehen wir weiter.« (Rupert.)
Nie hieß es: Hauptsache, du spielst gut, und das tust du ja. Und da ich nun mal eine Schwester hatte, bei der das Aussehen alles war, reagierte ich wohl besonders allergisch auf die Versuche, eine angepasste Klavierschönheit
aus mir zu machen. Mein Spiel sollte zählen, nicht ich.
So argumentierte ich vor mir selbst und den anderen. Eigentlich hatte ich aber nur Angst, an den Ansprüchen bezüglich meines Auftretens zu scheitern, Talent hin oder her.
In Wirklichkeit war der Klassikbetrieb natürlich weitaus durchlässiger geworden. Rupert hatte mir bald schon vorgeschlagen, gerade auf dieses - wie er es nannte - eher »alternativ-exzentrische« Erscheinungsbild zu setzen. Er nannte natürlich Nigel Kennedy als leuchtendes Beispiel. Und doch war ich nicht bereit, mich darauf einzulassen. Mich hemmte nämlich noch etwas ganz anderes. Aber es hatte Jahre gebraucht, um zu verstehen, was es war. Und es war ausgerechnet Oscars Vater, dieser von Lahnstein, der es mir vorgeführt hatte: Mir fehlte Tiefe, Reife, Emotion.
Einer meiner Professoren hatte immer gesagt: »Sie sind noch zu jung, Sie müssen erst noch leben, und bis dahin konzentrieren Sie sich auf technische Brillanz und clevere Interpretation. So können Vierzehnjährige den Eindruck erwecken, ihr Spiel hätte Tiefgang!«
Damals lachten wir darüber. Heute verstand ich endlich, was der Professor damit gemeint hatte. Und offenbar hatte ich in all den Jahren seit meinem Abschluss gespürt, dass ich noch nicht so weit war, dass mir noch etwas fehlte, und mich deshalb nicht auf die Bühne getraut. Ich hatte wohl das Gefühl gehabt, mir und meinen Zuhörern etwas vorzumachen. Ich hatte geglaubt,
noch nicht so weit zu sein. Und mit ein bisschen Pech wäre der Tag, an dem ich glaubte, so weit zu sein, nie gekommen, wenn es nicht mit einem Mal um alles gegangen wäre, um alles, was mir wichtig war: das Künstlerhaus zu retten, Marc zu bekommen.
Es war drei Uhr morgens, als ich mir mein Handy schnappte und Rupert anrief.
»Das wird aber jetzt nicht zur Gewohnheit, junge Dame«, stöhnte er. »Wenn du willst, nenn ich dir einen wunderbaren Neurologen, der verschreibt dir Schlaftabletten, ohne viele Fragen zu stellen. Sehr angenehmer Mann. Willst du seine Telefonnummer?«
»Ich werde spielen«, sagte ich.
»Okay«, sagte Rupert.
»Ich hatte ehrlich gesagt mit etwas mehr Enthusiasmus gerechnet«, murrte ich.
»Du wärst ziemlich blöd gewesen, wenn du Nein gesagt hättest. Abgesehen davon war das deine letzte Chance«, entgegnete Rupert und klang, als spräche er über seine letzten Maniküre.
»Das hättest du mir ruhig mal sagen können«, rief ich empört.
»Oh, bitte. Werd erwachsen.« Er legte auf.
19
Mit unserem Fest am Sonntag rückte natürlich auch Finas Polterabend, der am selben Tag war, näher. Insgeheim hatte ich natürlich die ganze Zeit noch gehofft, er würde nicht stattfinden. Jedenfalls nicht für Fina. Aber nun war alles doch anders gekommen. Beziehungsweise, es war genau so gekommen, wie es geplant war. Es lief nur eben nicht nach meinem Plan.
Notgedrungen bereitete ich alles last-minute -mäßig vor: Ich sagte ein paar Leuten, die Fina noch von früher kannten, über Facebook und Telefon Bescheid und bat sie, Zeit und Ort zu verbreiten, damit jeder kommen konnte, der Lust hatte. Offizielle Einladungen gab es traditionellerweise keine. Ich erinnerte noch daran, dass zwar Geschirr zum Kaputtschmeißen erlaubt war, aber auf keinen Fall Glas oder Spiegel.
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