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Für Menschen ungeeignet

Für Menschen ungeeignet

Titel: Für Menschen ungeeignet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sheckley
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des Universums sogar. Für einen Augenblick ist die Ordnung des Universums gestört und alle Wertvorstellungen verlieren ihre Bedeutung.
    Aber solche Augenblicke gehen vorbei.
    Anders erinnerte sich, daß er einmal als Junge nachts aufgewacht war und alles in seinem Zimmer völlig fremd ausgesehen hatte! Stühle, der Tisch, Schränke, alles schien in der Dunkelheit angeschwollen und unproportioniert. Die Decke drückte sich wie in einem Traum auf den Boden.
    Aber auch das war vorbeigegangen.
    »Nun, alter Junge«, meinte er, »wenn ich wieder warm werde, sag mir Bescheid.«
    »Das werde ich«, flüsterte die Stimme in seinem Kopf. »Ich bin ich, du findest mich.«
    »Freut mich, daß du so sicher bist«, sagte Anders gut gelaunt, knipste das Licht aus und ging.
     
    *
     
    Hübsch und lächelnd empfing Judy ihn an ihrer Türe. Während er sie ansah, spürte Anders deutlich ihr Wissen um die Situation in diesem Moment. Hatte sie die Veränderung seiner Empfindungen für sie ihm gerade erst angemerkt oder hatte sie alles schon vorausgesehen? Oder ließ die Liebe ihn schon grinsen wie einen Idioten?
    »Magst du noch einen Drink vor der Party?« fragte sie ihn.
    Er nickte, und sie führte ihn in ihr Appartement zur Couch. Als er sich setzte, entschied Anders, daß er es ihr sagen würde, wenn sie mit dem Drink zurückkam. Es hatte keinen Zweck, den fatalen Augenblick hinauszuzögern. Ein verliebter Lemming, sagte er sich. Wir sind alle Lemminge.
    »Du wirst wieder wärmer«, sagte die Stimme.
    Er hatte seinen unsichtbaren Freund fast vergessen. Oder Feind, denn das konnte ja genauso gut der Fall sein. Was würde Judy sagen, wenn sie wüßte, daß er Stimmen hörte? Kleinigkeiten wie diese, erinnerte er sich, zerstörten oft die schönsten Beziehungen im Keim.
    »Hier«, sagte sie und reichte ihm seinen Drink.
    Noch immer lächelnd, stellte er fest. Das Lächeln Nummer Zwei – für einen möglichen Liebhaber, provokativ und verstehend. Ihm war zu Beginn ihrer Beziehung das Nummer Eins Lächeln vorausgegangen, das Ich-bin-ein-nettes-Mädchen-das-nicht-falsch-verstanden-werden-möchte-Lächeln, das sie bei allen Gelegenheiten trug, solange noch keine Beziehung auf korrektem Wege angebahnt war.
    »So ist es richtig«, sagte die Stimme. »Es hängt mit der Art und Weise zusammen, wie du die Dinge betrachtest.«
    Was betrachtete? Anders spähte zu Judy hinüber und fühlte sich von seinen eigenen Gedanken abgestoßen. Wenn er den Liebhaber spielen wollte, warum sollte er sich das nicht erlauben! Selbst bei seiner durch die emotionale Anteilnahme eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit ließ sich ohne Einschränkungen erkennen, daß ihre graublauen Augen eine aparte Form besaßen, ihre Haut makellos war (wenn man von der kleinen Unreinheit auf der linken Wange absah) und ihre Lippen voll, der weiche Schwung geschickt durch den Lippenstift betont.
    »Wie war deine Vorlesung heute?« fragte sie.
    Natürlich muß sie so etwas sagen. Liebe verlangt Anteilnahme. »Ganz nett«, sagte er. »Diesen jungen Affen Psychologie beizubringen ist -«
    »Ach, komm, hör auf!«
    »Wärmer«, sagte die Stimme.
    Was ist los mit mir, fragte sich Anders. Sie ist wirklich ein hübsches Mädchen. Die Gestalt, die Judy bildet, das Muster aus Gedanken, Ausdrücken, Bewegungen, macht sie zu dem Mädchen, das ich -
    Ich was?
    Liebe?
    Anders schob seinen langen Körper unsicher auf der Couch hin und her. Er verstand nicht so richtig, wie er auf diese Gedankenkette gekommen war. Sie mißfiel ihm. Der analytisch denkende junge Psychologie-Dozent war im Vorlesungssaal besser aufgehoben. Konnte die Wissenschaft nicht bis 9 Uhr am nächsten Morgen warten?
    »Ich habe heute an dich gedacht«, sagte Judy, und Anders wußte, daß sie die Veränderung in seiner Stimmung genau spürte.
    »Merkst du es?« fragte die Stimme ihn. »Du wirst schon viel besser.«
    »Ich merke gar nichts«, dachte Anders, aber die Stimme hatte recht. Es war so, als habe er eine direkte Einsicht in Judys Gehirn. Ihre Gefühle waren nackt vor ihm ausgebreitet und von der gleichen Bedeutungslosigkeit wie vorhin der Anblick seines Zimmers, als sich die gewohnte Ordnung blitzartig aufgelöst hatte.
    »Ich habe wirklich an dich gedacht«, wiederholte sie.
    »Jetzt sieh sie dir an«, sagte die Stimme.
    Anders beobachtete den Ausdruck von Judys Gesicht und fühlte wie sich wieder das Gefühl der Fremdartigkeit über alles legte. Er hatte dieselbe alptraumhafte Wahrnehmungsgabe, wie in jenem

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