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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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zum Fenster. Der Wind heulte, der Himmel über der Taiga wirkte vollkommen schwarz. In weiter
     Ferne flammte ein schwaches Wetterleuchten auf.
    Er breitete die Lebensmittel auf dem Tisch aus. Mitten in der Nacht, in einem kleinen Hotel am Rande der Welt, wenn es draußen
     stockfinster ist, kalter Wind gegen das Fenster peitscht und du nicht weißt, was morgen mitdir geschieht, findest du jedes Essen himmlisch, vor allem natürlich hausgemachte Salzgurken mit dem besonderen russischen
     Kastenbrot, das es wohl nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Graubrot mit dicker, knuspriger Kruste, innen weich und klebrig.
    In der Tasche hatte er eine kleine Flasche guten Kognak und eine Packung Pickwick-Teebeutel. Tanja, das kluge Mädchen, hatte
     ihm außerdem noch ein Glas löslichen Tchibo-Kaffee eingepackt.
    Die kluge Tanja wäre eine wunderbare Frau, dachte er, während er ein Stück von dem noch warmen Brot abriß und die flache Taschenflasche
     ansetzte – auf deine Gesundheit, mein Mädchen, verzeih, daß ich dich nicht heiraten kann.
    Gleich nach diesem unfrohen Gedanken durchfuhr ihn zusammen mit dem brennenden Schluck Kognak ein beinahe verbotener, beinahe
     verhaßter Name: Nika.
    Vor sehr langer Zeit, in einem anderen Leben, hatten sie beide in einem fast identischen Hotelzimmer graues Kastenbrot mit
     Salzgurken gegessen. Dazu gab es statt des gummiartigen Schinkens hartgekochte Eier, statt der Pickwick-Teebeutel simplen
     Teesud. Nur der Kognak war der gleiche – armenischer.
    Nikita, der gerade mit dem Studium fertig war, arbeitete als Korrespondent bei einer populären Jugendzeitschrift, und Nika
     hatte ihn unbedingt auf die Dienstreise nach Wologda begleiten wollen, weil das eine hübsche alte Stadt war und weil es zu
     zweit so schön war – egal, wo. Es war Mitte Juni, und ganz überraschend fiel Schnee. Er lag auf dem Gras und auf den grünen
     Blättern und wollte nicht wegtauen. Mein Gott, wie lange war das her? Noch immer sah Nikita die schlanke Silhouette am Fenster
     des Hotelzimmers stehen, vor dem im flackernden Lampenlicht das Junischneetreiben wirbelte. Er hatte ihr nicht verziehen.
     Erhatte nichts verziehen und vergessen, denn er liebte sie noch immer, jede andere war nur ein Schatten seiner Nika, seines
     dünnen, dunkelblonden Mädchens, der Verräterin Nika, seiner ersten und letzten Liebe.
     
    Am Morgen war der Schnee getaut, es war immerhin Mai. Aber es war kalt und feucht. In der windschiefen Bretterbude mit der
     halb verwitterten Aufschrift »Flußbahnhof« drängten sich die Menschen. Auf den zerschrammten Bänken sitzend und liegend, warteten
     sie schon seit dem frühen Morgen auf den Dampfer. Nikita sah sich suchend nach einem freien Platz um, da sagte eine Greisenstimme
     neben ihm: »Setz dich, mein Sohn. Ich rücke ein Stück.«
    »Danke.« Nikita zwängte sich neben den Alten und registrierte flüchtig einen akkuraten grauen Bart und gescheiteltes, langes
     graues Haar, von einem schmalen schwarzen Haushaltsgummi zusammengehalten. Der dünne Zopf steckte im Kragen eines abgewetzten
     grauen Jacketts.
    »Fremd hier?« fragte der Alte leise, während er Nikita mit freundlicher Neugier musterte. »Woher, wenn’s kein Geheimnis ist?«
    »Aus Moskau. Sagen Sie, kommt der Dampfer bald?«
    »Müßte heute kommen. Auf Dienstreise oder zu Besuch?«
    »Dienstreise«, log Nikita und dachte, daß er sich lieber nicht mit dem erstbesten auf Gespräche einlassen sollte. Der Alte
     war zwar sympathisch, bestimmt Priester, vermutlich Pope in einer kleinen Dorfkirche, trotzdem war Vorsicht geboten.
    »Und wohin?«
    »Gelbe Schlucht.«
    »Sehr schön. Da will ich auch hin. Ich heiße Vater Pawel. Und du?«
    »Nikita.«
    Vater Pawel kramte in seiner großen karierten Tasche und raschelte mit Zeitungspapier. »Hier, bedien dich – Piroggen. Mit
     Kraut.«
    »Danke.« Nikita lächelte.
    »Und was ist das für eine Dienstreise, wenn’s kein Geheimnis ist? Unser Ort ist doch völlig abgelegen. Da kommen kaum Fremde
     hin.«
    »Ich bin Journalist.«
    »Journalist«, wiederholte der Alte nachdenklich, »worüber willst du denn schreiben?«
    »Über Ökologie. Über Naturschutz. Ihre Piroggen schmecken gut.«
    »Ja, die kann meine Frau gut, besonders die mit Kraut. Wo willst du denn wohnen bei uns? Ein Hotel gibt es nicht.«
    »Ich dachte, ich miete mir einfach für ein paar Tage ein Zimmer.«
    »Dann bringen wir dich in der Kirche unter, das Wächterhaus steht leer. Bist du getauft?«
    »Ja.«
    In

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