Fuer Wunder ist es nie zu spaet
Julinacht.
Jetzt tanzen nur noch Jens und Pedro, eng umschlungen auf dem
knarrenden Holzboden unter dem strahlenden Deckenhimmel. Karin rümpft die Nase.
Nur gut, wenn Jens hier sein wahres Ich findet und schwul wird. Irgendwie war
er doch schon immer eine kleine Schwuchtel mit seinen Blumen, Jens, der noch
bei Mami wohnt. Klar ist er schwul! Dass sie das nicht viel früher begriffen
hat! Umso besser für ihn, wenn er einen kleinen schwächlichen Jungen gefunden
hat, der ihn umschwärmen kann. Der kann ihm das Frühstück ans Bett bringen, und
sie können zwischen all den verfluchten Stauden wohnen. Wie schön für Jens, als
Schwuler nach Hause zurückkehren zu können, viel Spaß!
Karin schielt wieder zu Jens und Pedro hinüber. Sie tanzen eng,
Pedro führt, Jens lacht und lässt sich führen. Pedro flüstert ihm etwas ins
Ohr, was mag es nur sein? Jens sieht schüchtern, aber glücklich aus. Er schaut
zu Boden, tanzt unsicher, aber hat ein Lächeln auf den Lippen. Eigentlich sieht
er fröhlich aus in seinem Mr.-Darcy-Anzug und mit dem dunklen Haar, das vom
Tanzen und von der Hitze noch mehr Locken bekommen hat.
Warum tut es weh, das zu sehen? Warum tut es so verdammt weh, Jens
in den Armen eines anderen zu sehen? Als er mit Maja den Abhang herunterkam, da
konnte Karin ihren Augen nicht trauen – Jens sah aus wie ein völlig anderer
Mensch. Vielleicht sieht er jetzt so aus wie der, der er schon immer war, und
Karin hat es nur noch nie gesehen. Es war, als wäre sein gutes Herz plötzlich
von außen zu sehen. Als würde er zum allerersten Mal Kleider tragen, die seiner
würdig sind.
»Hey, und jetzt was Langsames! Hört ihr, wir wollen noch was
Langsames! Stimmt doch, Karin, oder?«
Mads ruft der Hausband zu, Pelle am Schlagzeug, Fatima mit der
Geige, und Pugh, der immer noch die Gitarre vorm Bauch hat, stimmt sogleich
»Norwegian Wood« an.
»Perfekt!«
Karin spürt die Arme von Mads um ihre Taille, als er sie auf die
Tanzfläche schleppt und Jens und Pedro fröhlich zur Seite knufft. Jetzt gerade
findet sie, dass er sie ein klein wenig zu fest um die Hüften hält. Unter
normalen Umständen wäre sie sehr dankbar für solche Arme, da hätte sie sich
hineingekuschelt und sich selbst einfach mal einen Augenblick lang vergessen.
Jens und Pedro, Wange an Wange, Pedros Hände auf Jens’ Hintern. Pedros Hände,
die versuchen, das Band von Jens’ Hemd aufzuknoten, und die sehnsüchtig sein
lockiges Haar streicheln. Pedros Hände, die Jens über die nicht ganz glatt
rasierten Wangen streichen. Und Jens kichert schüchtern und weiß nicht so
recht, wie er sich verhalten soll.
Karin schließt die Augen. Was geht sie das an? Was geht es sie an,
was eine blöde alte Schwuchtel aus ihrem früheren Leben hier macht? Warum steht
sie überhaupt hier rum? Sie, die schicke Karin, die Schlaue, die Schnelle, die
Stilsichere, die alle Möglichkeiten hat. Warum steht sie hier und tanzt mit
einem besoffenen Sechzigjährigen in Lederweste? Warum ist sie die ganze Zeit so
verdammt traurig? Warum ist sie so einsam? Sie könnte doch alles haben, aber
genau genommen hat sie gar nichts. Wofür lebt sie eigentlich? Karin versucht,
auf einen einzigen guten Grund zu kommen, aber es will ihr keiner einfallen,
nein, ihr fällt nichts ein, wofür es sich zu leben lohnt.
Hand in Hand rennen sie in das Labyrinth aus Hainbuche.
Maja beeilt sich, sie läuft so schnell, dass ihr der Schweiß ausbricht. Aber
Alex schafft es immer, sie einzuholen, er nimmt ihre Hände und fängt sie ein.
Und wenn er sie gerade küssen will, windet sie sich wieder los und rennt
weiter. Sie lachen laut. Jetzt rennt sie so, dass der Kies hinter ihr nur so
aufspritzt. Dabei sieht sie über ihre Schulter, wie Alex fluchend die engen
Stiefel mit den aufgestickten Rosen von den Füßen schleudert, sich die rote
Jacke herunterreißt und im Laufen das Hemd gleich hinterherwirft. Dann nimmt er
die Jagd in Unterhemd und der kurzen, eng anliegenden Hose wieder auf.
Sie rennen durch den Duft von Bergkuckucksblume und Geißblatt, der
wie eine Parfümwolke in der Nacht hängt. Jetzt ist Alex schnell, ohne die
Stiefel ist er nicht aufzuhalten. Maja kreischt entzückt und albern. Sie merkt
schon jetzt, dass sie nicht mehr wird aufhören können zu kichern. Jetzt ist sie
wie diese Frauen, für die sie sonst immer nur ein müdes Lächeln übrig hat, die
kichern, sich aufreizend durchs Haar fahren und sich zum Affen machen. Aber es
ist ihr egal, vollkommen egal. Sie lässt
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