Fuer Wunder ist es nie zu spaet
ihr Cape im Laufen fallen und
schleudert die hochhackigen koketten Stoffschuhe von den Füßen. Laut keuchend
zögert sie an einer Abzweigung im Labyrinth, sie schnauft und schnauft und
biegt dann nach links ab. Eine Sackgasse! Verdammt. Juchu! Rings um sie ist nur
eine dunkle hohe Hainbuchenhecke, nichts sonst. Nur sie und die Hainbuche.
Ihr Herz pocht laut, der Schweiß läuft in Strömen, und sie atmet
laut, während sie auf ihren Spielkameraden wartet. Jetzt spielt sie, und genau
das hat ihr so gefehlt. Das Spiel und das Spielen.
»Ha! Jetzt hab ich dich!«
Alex kommt vor ihr zum Stehen. Er grinst breit und atmet: ein, aus,
ein, aus. Das Geißblatt duftet, der Kies knirscht, und Alex nähert sich ihr
langsam.
»Dann komm und nimm mich.«
Maja packt ihr Kleid und zieht es sich über den Kopf.
Karin versucht, aufs Schloss zuzugehen, ohne zu schwanken.
Muss mich ein bisschen ausruhen, allein sein, die Gedanken ordnen. Die
Marmortreppe fühlt sich an ihren nackten Füßen kühl an, und die brennenden
Kerzen der Kristalllüster erzeugen ein schönes Licht. Die gigantische Flügeltür
steht weit offen, und Karin betritt die Eingangshalle.
Aus der Mädchenkammer ist ein klapperndes Geräusch zu hören, da
schreibt jemand auf einem Computer. Wer könnte das sein? Karin schiebt die Tür
leise auf und entdeckt Nadja, die Fotografin, die gerade die Fotos von der
Kamera auf den Rechner zieht. Karin sieht sich selbst in voller Größe auf dem
Bildschirm, wie sie leicht betrunken bei Pelle auf dem Schoß sitzt. Pelle wirkt
fast ein wenig unangenehm mit seinem aufgedunsenen Gesicht, dem aufgeknöpften
Hemd und einer Perücke, unter der seine wirren grauen Haarsträhnen
herausschauen. Und sie selbst sieht unglücklich aus, obwohl sie lächelt und
einen Schmollmund macht. Verdammt, was sieht sie unglücklich aus. Man möchte
weinen bei dem Anblick.
»Die kannst du gleich löschen.«
»Was?«
Nadja schaut vom Bildschirm auf und rückt die große Brille zurecht.
»Die kannst du gleich löschen. Es wird keinen Artikel geben.«
»Nicht? Jetzt kapier ich grad gar nichts.«
»Du kannst deine hässliche Brille einpacken und die Biege machen,
einfach abhauen. Ruf ein Bootstaxi oder was auch immer, die Rechnung kannst du
mir schicken. Hauptsache, du haust ab.«
»Aber . . .«
Karin hebt nur die Hand, macht auf dem Absatz kehrt und geht wieder
hinaus durch die wunderschöne Flügeltür, die kühle Marmortreppe hinunter und
über den knirschenden Kies Richtung Wasser.
Pelle geht es gut, verdammt gut geht es ihm. Das Atelier
ist verschwunden, dieser Dinosaurier von Skulptur, die er geschaffen hat, ist
verschwunden, die Angst um Maja ist verschwunden, alles verschwunden. Er tanzt
einfach nur. Das sonnendürre Gras schneidet in seine Fußsohlen, der Schweiß
läuft, die Haare kleben ihm am Kopf, und der Wein ist ihm schon über das weiße
Hemd und die Brust getropft. Das Herz da drinnen schmerzt ein wenig, aber nicht
mehr so stark und heftig. Es schmerzt wie in Watte gepackt.
Mads ist vorhin ins Schloss gelaufen und hat die riesigen
Lautsprecher hin und her gewuchtet, um sie am Ende in die großen Fenster des
Speisesaals zu stellen. Jetzt dröhnt die heisere Stimme von Patti Smith über
den Vänersee. Es ist wie früher. Oder nein, nicht ganz. Channa ist wie immer,
aber alle anderen sind älter geworden. Sie halten durch und singen und trinken
und tun dabei, als wäre alles wie früher. Doch in Wirklichkeit sind sie müde,
alt und müde. Bald sind sie alle Rentner, zumindest was das Alter angeht.
Pelle schließt die Augen und sieht seine Kinder, als sie noch klein
waren. Flachsköpfe mit braun gebrannten kleinen Körpern, die nachts zu ihm
gekrochen kommen, wenn sie schlecht geträumt haben. Sie klammern sich an ihn,
und er ist für sie da. Damals war er für sie da, jetzt nicht mehr, schon lange
nicht mehr. Nein, nichts ist mehr wie früher. Außer Channa natürlich.
Die Hitze wirkt sogar nachts noch drückend. Channa hat den Frack
abgeworfen und tanzt jetzt in Unterhose und mit einer Zigarette im Mundwinkel
wild herum. Mads, Pugh und Fatima stehen in Badeanzügen da und beraten umständlich
über eine mögliche Nachtbadeaktion, betrachten derweil Channa und lachen über
ihren unerschütterlichen Enthusiasmus.
Pelle lässt sich schwer ins Gras fallen. Das Universum über ihm
dreht sich, und in seiner inneren Welt rotiert es ebenfalls, wenn auch etwas
ruhiger. Er muss sich zusammenreißen, von jetzt an muss er sich
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