Fürchte deinen Nächsten!
diskutieren, würde zu weit führen. Wir sollten uns auf Delany konzentrieren.«
Marcella Ash hatte trotzdem noch eine Frage. »Ist denn Judas Delany ein Teufel? Oder der Teufel?«
Jetzt lachte ich. »Um beim Teufel zu bleiben, Marcella, ich werde einen Teufel tun, Ihnen darauf eine Antwort zu geben. Wichtig ist, daß ich Delany zu Gesicht bekomme. Deshalb bin ich hier.«
Sie schaute zuerst mich an und blickte dann auf ihre Hände, die sie jetzt gestreckt hatte. »Es ist schon okay, John, lassen Sie uns gehen…«
***
Wer in dieser Klinik untergebracht war, der konnte meiner Meinung nach nicht gesund werden. Die Umgebung konnte man nicht mögen. Nicht als Gesunder und auch nicht als Kranker. Völlig farblos, keine Hoffnung. Eine Welt aus kalten, kahlen Gängen und Decken, mit einem ebenfalls kalten Licht gefüllt, das aus flachen Schalen drang. Sie klebten als Quadrate unter der Decke. Es gab keine Bilder. Ich hörte keine Stimmen. Wer hier eingesperrt war, der vegetierte dahin.
Ich fragte Marcella Ash nicht, ob diese Umgebung eine Heilung tatsächlich beschleunigte. Mir ging es um die Sache. Und das waren vier Morde.
Die Kontrolle lag hinter uns. Ein Pfleger oder Aufpasser bewachte den Weg zu diesem Trakt. Vor ihm stand ein Monitor, der ihm einen Eindruck dieser trostlosen Welt vermittelte. Der Mann selbst hatte auch trostlos ausgesehen. Sein Blick war mir stumpf und gleichgültig vorgekommen. Während er auf den Schirm schaute, schien er mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Beide hatten wir etwas unterschreiben müssen, danach erst war das Gittertor zur Seite gefahren.
Ich gab keinen Kommentar ab. Meine Begleiterin lachte trotzdem. Es klang nicht fröhlich. »Wenn Sie sich sehen würden, John, dann würden Sie vor sich selbst erschrecken.«
»Mag sein. Aber es ist eine Umgebung, die mir einfach nicht gefällt.«
»Das weiß ich. Mir gefällt sie auch nicht. Aber ich muß hier arbeiten, und ich habe mir den Job selbst ausgesucht.«
Ich hustete gegen meinen Handrücken. »Kann man denn nichts daran ändern und alles ein wenig freundlicher gestalten?«
»Man kann schon. Doch es fehlt an der Finanzierung, John. Wer soll das bezahlen?«
»Ich weiß Bescheid.«
Wir gingen weiter und damit tiefer in diesen traurigen Trakt hinein. Wir passierten Türen, die mit Gucklöchern ausgerüstet waren. Dahinter verbargen sich menschliche Schicksale, über die ich erst gar nicht nachdenken wollte, weil sie einfach zu schlimm waren.
»Ist Judas Ihr schlimmster Fall, Marcella?«
»Ja, das ist er«, bestätigte sie. Die Psychologin blieb stehen und strich über ihr Haar. »Sie haben mich nervös gemacht, John.«
»Oh, das war nicht meine Absicht.«
»Moment, ich habe mich falsch ausgedrückt. Mit >nervös< meine ich etwas anderes. Sie haben sehr intensiv über gewisse Dinge gesprochen. Ich habe an den Teufel gedacht und zwangsläufig an die Hölle. Schon immer habe ich mich gefragt, wer oder was die Hölle ist. Eine Antwort bekam ich nicht, und ich habe mir gesagt, daß es die Hölle gar nicht gibt.«
»Da bin ich überfragt.«
»Bitte, John, tun Sie nicht so. Man hat damals polarisiert. Das stammte von der offiziellen Kirchenlehre her. Es ist vorbei seit den Zeiten der Aufklärung. Auch die Kirche hat umgedacht. Sie sieht das nicht mehr so zweigeteilt. Der Himmel ist nicht oben, und die Hölle ist auch nicht unten. Das kann man doch als aufgeklärter Mensch nicht glauben. Oder sehen Sie das anders?«
»Nein.«
»Aber Sie unterscheiden trotzdem und bringen auch den Teufel mit ins Spiel.«
»Das muß ich, Marcella, weil ich ihn gesehen und erlebt habe. Und das nicht nur einmal. Ich bin ihm begegnet. Wir standen uns gegenüber. Ich kenne ihn und…«
»Moment, er ist nicht die Hölle.«
»Richtig.«
Sie blickte mich auffordernd an. »Was bezeichnen Sie persönlich dann als Hölle?«
»Das ist schwer zu sagen, Marcella.«
»Personifizieren Sie die Hölle auch?«
»Nein, das nicht. Ich habe mir dazu eine eigene Meinung gebildet.«
»Da bin ich gespannt.«
»Hölle ist überall dort, wo die Liebe fehlt«, erwiderte ich leise. »Verstehen Sie?«
»Ja«, gab sie zu. »Ja, das ist gut. Das ist eine Definition, mit der ich mich anfreunden kann. Wenn wir von diesem Punkt aus den Bogen zu Judas Delany schlagen – «, sie bewegte ihre Hand von einer Seite zur anderen, »- dann könnte er durchaus ein Teil der Hölle sein, denn bei ihm fehlt die Liebe. Es fehlen auch die Hoffnung oder der Glaube. Bei ihm ist
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