Fürchte deinen Nächsten!
trotzdem wollten Sie hierhin?«
Sie gingen langsam weiter, und Marcella schaute auf den Boden, der schon jetzt mit Abfall übersät war. Sie trat gegen eine leere Dose. »Ja, ich wollte herkommen, auch wenn es nicht meine Welt ist.« Sie hob die Schultern. »Kann sein, daß ich mir die Sicherheit auch einbilde, aber ich stelle mir vor, daß der Killer hier weniger Chancen hat. Und ich hoffe auch, daß ihr Freund John Sinclair es schafft, ihn in der Zwischenzeit zu fassen.«
»Mal sehen.«
Sie stieß Suko an. »He, das hat sich angehört, als würden Sie mir nicht glauben.«
»Nein, damit hat das nichts zu tun. Wäre ich Alex Rankin, würde ich sagen, daß sich der Täter immer das schwächste Glied der Kette aussucht. Wenn ich ehrlich bin, sind wir das nun mal.«
Marcella schluckte. »Ja, Sie haben recht. So sehe ich das leider auch. Oder muß es so sehen. Trotzdem komme ich mir hier beschützter vor als in meiner Wohnung allein zu sitzen und auf ihn zu warten.«
»Daran zweifelt niemand.«
Suko und seine Begleiterin hatten sich vom Eingang entfernt und einen der breiten Hauptwege genommen. Vier von ihnen durchzogen das Gelände wie Adern. Die schmaleren Wege zweigten davon ab. Dort standen auch die normalen Weihnachtsmarktbuden, kleine Häuschen aus Holz und oft mit Tannengrün verkleidet. Der große Rummel breitete sich zu beiden Seiten der Hauptadern aus.
Kinder bekamen trotzdem glänzende Augen. Sie aßen rote Weihnachtsäpfel, die kandiert worden waren, oder steckten ihre Gesichter in die dicken Bärte der Zuckerwatte.
Besonders die jugendlichen Besucher hatten sich Nikolausmützen besorgt und aufgesetzt. In Gruppen zogen sie lachend und manchmal auch singend über das Gelände, hin und wieder an den Glühweinständen oder Freßbuden Pausen einlegend.
Vor der Geisterbahn blieben die beiden stehen. Suko bemerkte, wie Marcella ihre Blicke über die grelle Bemalung gleiten ließ, auf der sich die schrecklichsten Monster abzeichneten, die sie allerdings zu einem Lächeln zwangen.
»Was haben Sie?«
Sie lächelte nicht mehr, sondern lachte. »Schauen Sie sich diese Bilder an. So schrecklich und furchterregend sie auch auf manche Menschen wirken mögen, was sind sie schon gegen die Wirklichkeit, durch die ein Killer geht, der Judas Delany heißt. Alles nur Fassade, aber die Menschen lieben nun mal den Schrecken.«
»Sie aber nicht?«
»Nein.«
»Obwohl Sie hier stehenbleiben?«
Marcella zuckte mit den Schultern. »Ich wollte nur einen Vergleich anstellen. Denken Sie an meinen Beruf. Mich interessieren nicht nur die Menschen, sondern auch ihr Umfeld. Es gibt genügend Zusammenhänge, und für mich ist es das Kausalitätsprinzip.« Sie winkte ab. »Sorry, ich wollte Sie nicht langweilen.«
»Das tun Sie nicht. Auch bei unserer Arbeit ist das Gesetz von Wirkung und Gegenwirkung wichtig.«
»Toll.« Sie schaute ihn an und lachte. Sogar in den hellen Augen malte sich das Lachen ab. »Ob Sie es glauben oder nicht, Suko, ich habe ITunger.«
»Das ist kein Manko.«
»Sie auch?«
»Wenn Sie ein Alibi benötigen, ich beteilige mich daran«, erklärte er lächelnd.
»Oh, danke. Sie dürfen auch wählen, was wir essen. Aber bitte keine Fish and Chips.«
»Daran hatte ich auch nicht gedacht. Denken Sie daran, daß Europa zusammenwächst.«
»Oh, was hat das damit zu tun?«
Suko drehte sich nach links. Dort führte ein schmalerer Weg unter anderen zu einer großen >Freßbude<, die von vier Seiten begangen werden konnte. Auf dem Dach war ein Schild angebracht worden, das für Thüringer Bratwurst warb.
»Ist das was für uns?«
»Und ob. Kommen Sie!«
Zwar herrschte Betrieb, aber nicht zuviel Andrang. Sie ergatterten zwei freie Plätze. Auf den Grills und in den Töpfen und Pfannen brutzelte und brodelte es. Es gab eine große Auswahl. Nicht nur Bratwurst, auch andere Spezialitäten, wie Schaschlik, Sandwiches mit Spießbraten und Zwiebeln, Bratkartoffeln, Blutwurst gebraten und vieles mehr. Die Gerüche der einzelnen Gerichte bildeten ein Sammelsurium, das es dem Hungrigen schwermachte, sich zu entscheiden.
Eine Bedienung im roten Kittel, die trotz der Kälte ein verschwitztes Gesicht hatte, fragte nach ihren Wünschen. Beide entschieden sich für eine Bratwurst, die in ein aufgeschnittenes Brötchen hineingelegt wurde und noch eine zittrige Linie aus Senf erhielt.
Marcella nickte. Dann zogen sich die beiden zurück und stellten sich an einen der Tische, zusammen mit anderen Essern.
Suko lächelte
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