Fürchte deinen Nächsten!
gewesen, und so war er durch das Blut des Fremden infiziert worden.
»Von nun an gehörst du mir. Von jetzt an ist nichts mehr bei dir, wie es war. Mein Blut ist in deinem Körper. Du bist ein Stück Hölle, und du kannst dich auf ihre Kräfte verlassen. Die Hölle kocht in dir, sie breitet sich aus und wird bei dir etwas verändern. Du wirst in der Lage sein, das zu tun, von dem andere Menschen träumen. Du brauchst dich nicht mehr zu fürchten. Die magische Veränderung macht dich praktisch unantastbar, und du wirst dafür sorgen, daß dein und mein Name in die Welt hinausgetragen werden. Töte in deinem und in meinem Namen. Denk daran, daß es Menschen sind, die auch deine Eltern hätten getötet haben können. Schau sie dir an. Sieh in ihre Gesichter und denke, daß jeder von ihnen zu einem potentiellen Mörder werden kann. Sei du Richter und Henker zugleich, und das alles in meinem Namen…«
Judas Delany hatte verstanden, aber nicht so recht begriffen. Erst als der Fremde nicht mehr weitergesprochen hatte, war er in der Lage gewesen, seinen Kopf zu heben. Er wollte ihn richtig erkennen. Sein Gesicht und auch seinen Körper. Es war nicht möglich. Der Fremde sah nicht nur aus wie ein Schatten, er bewegte sich auch so. Gesicht und Körper verschwammen. Er war gestaltlos, wie ein Stück Dunkelheit, das der anderen Finsternis entrissen und dann geformt worden war.
»Ein Zurück gibt es nicht mehr für dich. Mein Blut und dein Blut haben sich vermischt. Du gehörst mir. Du hast dich an mich verkauft, aber ich weiß, daß du es gut haben wirst.«
Delany schaute weiter. Er war wieder in der Lage, einen eigenen klaren Gedanken zu fassen, und eine Frage stürmte auf ihn ein, die ihn nicht losließ. »Wer bist du?«
»Ein Beschützer.«
»Der Teufel?«
Die Antwort bestand aus einem dröhnenden Lachen. »Ja, wenn du so willst, ich bin der Teufel. Ich bin das Böse, und ich bin der Haß. Weißt du nun Bescheid? Ich bin der, der in dir steckt. Ich bin das Neue, denn ich habe dir das genommen, auf das du früher so stolz gewesen bist. Jetzt gehören wir zusammen.« Die Gestalt breitete die Arme aus und wirkte plötzlich wie eine riesige Fledermaus. »Denk daran, daß du einen neuen Weg einschlagen wirst. Und niemand wird dir etwas tun können. Man kann dich einsperren, aber man kann dich nicht halten, denn du wirst ihnen immer entkommen, weil die Grenzen für dich aufgehoben sind. Es gibt keine Hindernisse mehr für einen Judas Delany. Du bist der Verräter, aber du wirst auch der neue Erlöser sein. Du hast von nun an einen Schutz, den sich andere nur erträumen können, und du bist in der Lage, zwischen den Welten zu wandern. Denk immer daran…«
Es waren die letzten Worte des Unbekannten.
Danach hatte er sich zurückgezogen. So schattenhaft und schnell wie er auch erschienen war. Aber eine Waffe lag plötzlich neben Judas.
Er faßte sie an.
Er umklammerte den Griff einer Machete. Der Gedanke, daß seine Eltern mit einem ähnlichen Instrument oder sogar mit dem gleichen ums Leben gekommen waren, kam ihm dabei nicht. Für ihn war es wichtig, daß er eine Waffe besaß, und er von nun an einen völlig anderen Weg gehen würde.
Er und der Fremde waren Blutsbrüder. Sie hatten ihren Lebenssaft miteinander vermischt, so war ein Teil der Kraft auf Judas übergegangen.
Er wollte seinen Freund nicht enttäuschen. Er spürte selbst, wie er die Menschen haßte. Besonders die frommen, und deshalb war er auch in Kirchen eingedrungen, um seine Taten zu begehen, obwohl man ihn nach dem ersten Mord schon gefaßt, abgeurteilt und in die psychiatrische Klinik eingewiesen hatte.
Dort zu sein, machte ihm nichts aus, denn seine Ausflüge waren perfekt geworden. Erst nach der vierten Tat war jemand auf die Idee gekommen, daß es dabei wohl nicht mit rechten Dingen zugegangen war, und genau diese Leute sah er plötzlich als gefährlich an. Zu nahe waren sie an die Wahrheit herangekommen, und deshalb mußten sie sterben.
Delanys Erinnerung verblaßte. Die erlebte Wahrheit verschwand wieder hinter dem Vorhang der Vergangenheit, und so konnte er sich wieder auf die Gegenwart konzentrieren.
Ja, er war stark, aber er war nicht so stark geblieben wie zu Beginn. Das Surfen oder Wandern zwischen den Zeiten kostete ihn immer mehr Kraft. Eintauchen in den Bereich des Teufels, dann wieder zurückschwingen in die normale Welt. So positiv es auch war, es kostete ihn immer mehr Energie, und er war nicht in der Lage, den Akku wieder
Weitere Kostenlose Bücher