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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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und begann die Rückwand abzutasten.
    Ich lächelte. Manchmal war es richtig nett mit Sunshine.
    Wir durchsuchten beide Kommoden im Zimmer. Nichts. Danach drehten wir alle sieben Bilder um, die an der Wand hingen, weil wir die Hoffnung hatten, dass sie die Briefe auf ihre Rückseiten geklebt hatte. Nichts. Wir durchwühlten den Kleiderschrank und suchten unter dem Bett. Ich machte das alles nicht zum ersten Mal, aber das hielt mich nicht davon ab, es erneut zu versuchen.
    Vergeblich. Da war nichts.
    Bis mir auf einmal etwas einfiel … Als Freddie damals in ihrem schwarzen Kleid vor dem Spiegel saß, hatte sie sich umgedreht und wie beiläufig den Blick auf etwas gerichtet …
    Ich ging auf das schlichte dunkle Holzkreuz an der Wand zu, nahm es ab, drehte es um und fuhr mit dem Daumen über die Rückseite.
    Der Rücken des Kreuzes glitt zur Seite und enthüllte einen schwarzen Hohlraum, der ungefähr dreißig Zentimeter lang und sieben Zentimeter breit war. Allerdings war nichts darin versteckt. Ich hängte das Kreuz zurück.
    »Komm mit«, sagte ich entschlossen, und Sunshine folgte mir.
    Wir gingen zum Gästehaus, wo niemand mehr war, genau wie Sunshine gesagt hatte. Neely suchte wahrscheinlich nach River.
    In Rivers Schlafzimmer zog ich die oberste Kommodenschublade auf, in die er das Kreuz gelegt hatte. Ich nahm es heraus, drehte es um und drückte den Rücken zur Seite.
    »Na, bitte! Wer sagt’s denn«, rief Sunshine, als in dem Moment, in dem das Kreuz sich öffnete, zwei zusammengefaltete Briefe zu Boden fielen.
    Ich lächelte.
    21. Juni 1947
    Freddie,
    was gestern Nacht zwischen uns vorgefallen ist, war ein Fehler.
    Ich habe dich von dem Moment an geliebt, in dem ich dich das erste Mal sah. Von dem Moment an, in dem ich in dein Gästehaus zog, von dem Moment an, in dem du mit den Fingern geschnipst und dich anschließend vor mir ausgezogen hast, so schamlos und frei wie die Mädchen aus den Revuen, die ich in den europäischen Varietés gesehen habe.
    Ich liebte es, dich zu malen. Ich liebte es, der scharfen Kurve deines Ellbogens mit dem Kohlestift zu folgen, den rosigen Schimmer deiner Haut auf der Leinwand zum Leben zu erwecken, das perfekte Blau für deine Augen zu mischen. Ich liebte es, wie du dich auf meinem Sofa geräkelt hast, mit nichts an dir als deiner alabasterweißen Haut, entspannt wie ein kleines Kätzchen in der Sonne. Ich liebte es, wie du den Whiskey auf Cowboyart direkt aus der Flasche getrunken hast. Ich liebte es, dass du nie wissen wolltest, wer ich war oder woher ich kam, weil das für dich keine Rolle spielte. Weil für dich nur zählte, was du vor dir sahst. Und weil dir das, was du sahst, gefiel. Weil ich dir gefiel. Glaube ich zumindest.
    Aber du bist verheiratet. Und ich … ich bin nichts und Niemand. Nur ein von dem Bedürfnis zu malen getriebener Künstler.
    Ich packe jetzt meine Sachen zusammen. Und wenn du aufwachst, wenn der ehrenhafte, unerschütterliche Lucas zurückkehrt, werde ich verschwunden sein. Zurück in der Stadt. Ich habe dir zwei meiner Bilder dagelassen. Die beiden, die dir am besten gefallen haben.
    John
    Ich wusste es. Ich wusste es, noch bevor ich den nächsten Brief las.
    27. Februar 1950
    Freddie,
    es ist lange her. Ich glaube, diesen Sommer sind es drei Jahre. Du hättest es mir früher sagen können. Du hättest es mir früher sagen sollen. Aber ich verzeihe dir. Wahrscheinlich hattest du Angst, ich würde zurückkommen und Unruhe stiften … nachts unter deinem Fenster herumschreien oder mich duellieren. Dabei hättest du wissen müssen, dass das nicht meine Art ist. Ich besaß nie das feurige Temperament, für das meine Malerkollegen berüchtigt sind.
    Vor Kurzem habe ich geheiratet. Ein Mädchen aus Echo. Ann Marie Thompson – ja, genau, das hübsche blonde Mädchen, das früher als Dienstmädchen für dich gearbeitet hat. Wir sind uns vor ein paar Monaten zufällig auf einer Party in New York begegnet. Sie ist ein ganz entzückendes Geschöpf, Freddie. Du würdest es nicht glauben. Sie ist fast so hinreißend wie du.
    In den nächsten Tagen ziehen wir nach Echo zurück. Ich werde keine Unruhe stiften, darauf kannst du vertrauen. Wir werden wie Fremde füreinander sein.
    Aber es wird mich glücklich machen, den Jungen zu sehen, auch wenn es nur ab und zu im Vorübergehen sein wird.
    John
    PS: Du hast ihm meinen Namen gegeben. Das freut mich.
    »Bedeutet es das, was ich denke, dass es bedeutet?« Sunshine und ich waren schweigend in mein Zimmer

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