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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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Geste hatte die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit eines Lächelns in der Sonne.
    Und ich hatte River für charmant gehalten.
    Neely lachte, als er mein erstauntes Gesicht sah. »Hör zu, er hat dich belogen, das lässt sich nicht leugnen. Mein Bruder kann einfach nicht anders, er hat … Probleme. Aber so weit ich weiß, bist du das allererste Mädchen, das er überhaupt wahrnimmt, und das kann nur etwas Gutes bedeuten. Deswegen … möchte ich mich gern bei dir bedanken.«
    »Du küsst meine Hand, um dich bei mir zu bedanken?«
    »Jep.«
    Ich hatte die letzten Tage mit einem Jungen verbracht, der außerordentliche Fähigkeiten besaß, die er nicht in der Gewalt hatte, und der eine mörderische Neigung an den Tag legte, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Und trotzdem konnte ich auf dem restlichen Weg in die Stadt nur an eins denken: Warum spürte ich immer noch den Abdruck von Neelys Lippen in meiner Handfläche?
    Als wir am Park ankamen, sah ich mich um. Keine Spur von River.
    Es war kühl geworden, und ich spürte Neelys Wärme, als er neben mir auf der Decke saß. Auf der Leinwand sah man einen Zug vorbeifahren und im Hintergrund hörte man dazu Rachmaninow. Der Film hieß Begegnung . Ich hatte ihn letzten Sommer schon einmal hier gesehen – die Schauspieler sprachen mit britischem Akzent, und das Ende brach einem das Herz.
    Links von mir tuschelten zwei Mädchen, während ein Kleinkind sich mit einem sehr gut erzogenen Border Collie eine tropfende Eiswaffel teilte. Rechts von mir schnitt ein großer dünner Junge mit dunkelroten Haaren – im Dämmerlicht wirkten sie beinahe violett – mit einem dünnen Messer einen Apfel in Schnitze und bot sie einem kleinen blonden Mädchen an, das mit seiner Familie ein paar Meter weiter saß. Ein bärtiger Mann stieg über einen kleinen Erdhaufen und breitete daneben eine Decke aus. Ich wusste, was es mit dem Erdhaufen auf sich hatte. Er markierte die Stelle, an der Daniel Leap blutüberströmt zusammengebrochen war.
    »Bist du ein Schwerenöter?«, fragte ich Neely leise, als auf der Leinwand gerade die schrecklich geschwätzige Frau mit der Hutschachtel auftauchte und das dem Untergang geweihte Liebespaar störte.
    »Ein was?«, flüsterte er zurück und warf mir einen amüsiert verwirrten Blick zu.
    »Jemand, der … der viele Affären hat?«
    Neelys Lachen hallte durch die Luft. Ein paar der andächtig dem Film lauschenden Zuschauer drehten sich ungehalten zu uns um, aber er lachte noch eine ganze Weile ungerührt weiter.
    Ich wurde rot. Zum Glück war es dunkel.
    »Jetzt hab ich es kapiert«, sagte Neely, die Stimme wieder zu einem Flüstern gesenkt. »Das mit River und dir, meine ich. River ist immer so wählerisch gewesen, was Mädchen angeht. Aber du« – er deutete auf mich – »du bist aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt.«
    Er sah mich mit einem strahlenden Lächeln an, das genauso schief war wie das seines Bruders, und ich musste daran denken, wie ich noch vor ein paar Tagen mit River hier gesessen hatte.
    Ungefähr in der Mitte des Films, gleich nach der Szene im Ruderboot, spürte ich eine Berührung an meinem Ellbogen. Als ich mich umdrehte, blickte ich in Giannis braune Augen.
    »Kannst du mal kurz mitkommen, Violet«, war alles, was er sagte. »Ich muss mit dir reden.«
    »Okay«, flüsterte ich neugierig, aber nicht besorgt. Ich nahm an, er wollte mir seinen neuen Kaffeefilter zeigen.
    Als ich aufstand, sah Neely mich mit fragend hochgezogenen Brauen an, aber ich deutete bloß auf Gianni und zuckte mit den Achseln. »Neely, das ist Gianni«, raunte ich ihm zu. »Ich muss kurz mit ihm reden.«
    Neely musterte ihn stirnrunzelnd. »Aber bleib nicht zu lange weg, ja?«, sagte er leise.
    Auf der Straße blieb Gianni im ölig-gelblichen Schein der Straßenlaterne in der Nähe des Antiquariats stehen und schüttelte sich eine schwarze Locke aus den Augen. Ich bemerkte auf seiner rechten Wange einen Kratzer, der frisch aussah.
    »Was ist mit deinem Gesicht passiert, Gianni?«, fragte ich.
    »Ich möchte dir etwas zeigen, Violet«, sagte er, ohne auf meine Frage einzugehen.
    Wie aus dem Nichts streifte mich eine kühle Meeresbrise und ich knöpfte meinen gelben Cardigan zu. »Okay. Aber kann das nicht bis nach dem Film warten?
    »Nein. Du musst es dir jetzt anschauen.«
    Sein Verhalten war seltsam. Sehr seltsam. Und wenn ich in Gedanken nicht so mit River und Neely, dem Teufel, dem vermeintlichen Selbstmord, Jack, den Briefen und dem Funkeln

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