Fuerstin der Bettler
wusste es, aber man konnte es nicht greifen.
Während Nelda noch die Parole sagte, schoss plötzlich aus einer der Toreinfahrten ein riesiges Tier hervor und auf Hannah zu. Es war ein breitschädeliger Hund, ein Bluthund, wie sie zur Hetzjagd auf Niederwild wie Wildschweine oder zur Menschenjagd eingesetzt wurden. Nur Adlige durften solche Hunde züchten und halten. Hannah schrie auf. Dem Tier troff der Geifer aus dem Maul und riss durch seine Schnelligkeit in Fetzen ab, die ihm ins Fell spritzten. »Nelda!«, schrie Hannah.
Ihr erster Gedanke war Hartmut Aigen, doch dann erinnerte sie sich an das Gespräch zwischen dem Dürren und dessen Schmugglerkumpanen. Auch sie hatten von Hunden gesprochen.
»Nelda! Schnell!«, schrie Hannah entsetzt.
Keine Sekunde zu früh schwang das Tor auf, und die beiden Frauen schlüpften ins Innere und drückten das Tor hastig zu. Im nächsten Augenblick prallte das Tier mit seinem ganzen Gewicht dagegen und begann mit einer tiefen, rauen Stimme zu bellen.
»Jetzt habe ich mich schon in den Fängen dieses Köters gesehen«, hauchte Hannah und lehnte sich erschöpft gegen die Tür. Sie zitterte am ganzen Körper.
Sie waren in einen Raum gekommen, dessen Düsternis sie nicht umfing wie eine warme Decke, sondern die sie bedrückte. Die Frauen sammelten sich um Hannah. Ihre Blicke waren ängstlich und erwartungsvoll zugleich. Ihr Huckauf, dieses Gefühl, als würde ihr eine Bürde aufgeladen, die sie nicht zu tragen vermochte, verstärkte sich.
»Der Hund lässt uns nicht mehr raus«, sagte eine der Frauen. »Wir sind wie ... wie eingesperrt.«
Hannah sah Nelda überrascht an. »Wie bist du entkommen?«, fragte Hannah.
Nelda zuckte mit den Schultern. »Bei mir ist er nicht aufgetaucht«, sagte sie, vermied jedoch den Blickkontakt mit Hannah.
Eine weitere Welle des Unbehagens überflutete Hannah. Doch sie hatte keine Zeit, sich um Nelda und deren Ungereimtheiten zu kümmern.
»Wo ist die Kleine?«, fragte Hannah.
»Oben«, war Neldas kurze Antwort.
Hannah ging voraus. Die Genesung der Kleinen war der einzige Lichtblick dieses Tages. Sie war einerseits begierig, mit dem Kind zu reden, andererseits fürchtete sie sich vor dem, was die Kleine zu sagen hatte.
Die Frauen folgten ihr die Treppe hoch in den ersten Stock.
Die Kleine lag zusammen mit Celante in einem durch Stoffbahnen abgetrennten Teil des Raumes. Hannah trat an den Vorhang, schlug ihn zurück und erstarrte.
Über das Kind gebeugt stand da das Mädchen, das die verletzte Celante zu ihnen gebracht hatte – und sie drückte der Kleinen ein Kissen aufs Gesicht. Celantes Begleiterin drehte sich nicht einmal um. Mit aller Kraft presste sie der Hilflosen das Daunenkissen auf Mund und Nase. Diese lag bereits regungslos im Bett.
Celante schlief auf der hinteren Pritsche, als wäre nichts geschehen.
Hannah sprang vor und riss das Mädchen von der Verletzten weg. Celantes Begleiterin, von der sie nicht einmal den Namen behalten hatte, taumelte gegen einen Stuhl, stolperte ein paar Schritte über den Bretterboden und schlug dann der Länge nach hin. Sofort waren zwei Frauen über ihr und hielten sie fest.
Hannah fühlte der Kleinen den Puls, doch da war nichts mehrzu fühlen. Das Mädchen, das zu ihr gebracht worden war, in ihre Obhut, war erstickt worden.
Hannah fühlte sich innerlich plötzlich eiskalt. Das einzige Wesen, von dem sie hätte erfahren können, was hier wirklich vor sich ging, lebte nicht mehr. Das Gesicht des Mädchens hatte sich im Todeskampf verzerrt und die Augen zeigten das Entsetzen über diese Tat. Sie hatte ihre Mörderin gesehen, sie hatte sie angeschaut. Hannah betrachtete diesen leeren Blick, ob sich darin das Bild der Mörderin spiegelte, doch die Augen blieben stumpf. Mit einer flüchtigen Handbewegung schloss Hannah der Kleinen die Augen. Dann drehte sie sich zu Celantes Begleiterin um.
Die Frauen hatten sie mittlerweile auf die Beine gestellt, ihr die Arme auf den Rücken gedreht und hielten sie fest.
»Wie heißt du?«, fragte Hannah, und sie erschrak selbst über ihre Stimme. Die war rau und kalt wie ein Wintermorgen.
Das Mädchen sah sie trotzig an, sagte jedoch nichts.
Hannah konnte diesen Gesichtsausdruck nicht ertragen. Diese Überheblichkeit der Jugend, die sich im Recht glaubte, nur weil sie jung war. Mit Schwung holte sie aus und schlug ihr mit der Hand ins Gesicht, links und rechts und wieder links und rechts.
Außer Atem hielt Hannah sich ihre eigene Hand fest, damit diese
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