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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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wie du nicht betteln können?« Die letzten Worte flötete er geradezu. Wieder spürte sie einen kräftigen Hieb; diesmal hatte er sie getreten. Hannah fühlte den Schmerz kaum mehr, denn der Tritt traf sie an der Schläfe und raubte ihr Gehör und Gefühl. Sie spürte nur, wie sie ganz zur Seite kippte und mit dem Gesicht im Schmutz landete. Sie war unfähig, sich zu bewegen, sich zu erheben, zu hören, zu fühlen. In ihrem Kopf rauschte es, als würde ihr Wasser durch den Schädel gegossen.
    Sie nahm noch wahr, wie der Kerl ihr den Rock hochschob, wie er ihr die Beine auseinanderdrückte, und dann schrillte es in ihrem Kopf, als würde eine Pfeife geblasen, und sie sank langsam in eine Tiefe hinab, die ihr bodenlos zu sein schien ...
    Als sie erwachte, blickte sie in das Gesicht der Schwarzen Liss. Die strich ihr mit der Hand sanft über die Stirn und über die Haare. Hannah sah Tränen in den Augen der Bettlerin, und siesah auch, wie deren Lippen sich bewegten, doch hören konnte sie nichts.
    Ihr ganzer Körper fühlte sich an, als wäre sie unter ein Fuhrwerk geraten. Und dann fühlte sie das Brennen, das sich über ihren Unterleib hinaufzog bis zu den Brüsten.
    »Was ...?«, flüsterte sie.
    »Endlich bist du wach«, hörte sie die Schwarze Liss. Es war, als stünde sie weit weg von ihr.
    »Wer war das?«, fragte die Bettlerin. »Wer hat dich so zugerichtet?«
    Hannah schloss die Augen. Wer war was? Sie versuchte sich zu erinnern, doch es gelang ihr nicht. Alles tat ihr weh. Ihr Unterleib brannte, als hätte das Feuer sie dort erneut versengt. Dann flatterte ihr das Wort »Schmetterling« ins Gedächtnis, und sie versuchte ihre Gedanken hinter dem flüchtigen Begriff her zu schicken.
    Sie öffnete die Augen wieder und sah über sich die dunklen Balken eines Fachwerks, die sich gegenseitig stützten und im Mauerwerk verschwanden, bis ihr die Augen schmerzten.
    Dann war die Erinnerung wieder da. Der Rote, der auf sie eingeschlagen, der sie getreten, der sie zu Boden geworfen, der sich auf sie gelegt hatte und schließlich gewaltsam in sie eingedrungen war. Sie ließ die beiden Worte über ihre zerschundenen Lippen tropfen wie zähflüssiges Blut. »Der Rote«, hauchte sie.
    Die Bettlerin, die Hannahs Kopf in ihren Schoß gebettet hatte, sah sich gehetzt um.
    »Wir müssen fort«, hörte sie die Schwarze Liss von weit her sagen. »Fort, bevor er zurückkommt. Kannst du aufstehen?«
    Hannah wusste nicht, ob sie aufstehen konnte. Sie musste es dennoch versuchen. Ihr war, als hätten die Tritte und Schläge ihr alle Muskeln und Knochen weich geklopft und als könnte sie diese nicht mehr zusammenhalten. Mit Hilfe der SchwarzenLiss schaffte sie es, obwohl ein Schwindel sie erfasste und gegen die Hausmauer sinken ließ.
    Sie bewegten sich ganz vorsichtig von dem Ort zwischen den Häusern weg. Die Schwarze Liss führte sie über die Hennastäpfala den Mauerberg hinauf, den heruntergekommen zu sein Hannah sich nicht mehr erinnerte. Es ging langsam. Zu langsam für die Bettlerin. Die drängte und schob sie vorwärts und wurde erst ruhig, als sie in die Gassen des Pfaffenwinkels eintauchten.
    Hannah betastete ihren Kopf. Sie fühlte Blut an der Wange, über dem Auge, am linken Ohr. Aus ihrem Unterleib rann Blut über ihre Oberschenkel. Mit jedem Schritt fühlte sie sich dennoch sicherer, wurde sie schneller. Sie humpelte weiter, weg von diesem schrecklichen Ort, weg von dem Roten.
    Die ganze Zeit über sprach die Schwarze Liss kein Wort.
    Hannah wusste nicht, wohin es gehen sollte. Sie wusste nur, dass sie sich in der Nähe des Fledermausturms nicht mehr sehen lassen durfte. Schließlich erkannte sie die Gegend. Jeder Schritt brachte ihr das Denken zurück, jeder Schritt war ein neuer Gedanke, bis sie schließlich selbst die Führung übernahm und zielstrebig einen Ort ansteuerte, den sie schon zuvor hätte aufsuchen sollen: den Brandplatz.
    Der körperliche Schmerz betäubte ihren inneren Schmerz, sodass sie glaubte, sie könne die Begegnung aushalten. Als sie in die Straße einbiegen wollten, trat einer der Stadtschergen aus einer Nische.
    »Geh weiter«, zischte die Schwarze Liss.
    Sie bogen nicht in die Gasse zu ihrem Haus ein, sondern liefen geradeaus weiter. Erst als sie außer Sicht waren, blieb Hannah stehen. Sie blickte sich kurz um, dann zog sie die Schwarze Liss ganz nah zu sich hin und flüsterte ihr ins Ohr: »Wir gehen hinten herum. Das Grundstück grenzt an die Straße, die an der Stadtmauer entlangführt.

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