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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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Bettlerin.
    Die blieb stehen und schnüffelte. »Ein Tod kommt selten allein«, sagte sie beiläufig, doch auch Hannah bemerkte das Zittern in ihrer Stimme.
    »Es riecht nach Verwesung?« Hannahs Gesicht verzog sich angewidert.
    »Es kommt immer wieder vor, dass ein Tier hier herunterstürzt oder dass die Fischer ihre verdorbene Ware im Graben abladen.«
    Die Schwarze Liss klang wenig überzeugend.
    Hannah war wieder hellwach. Eine unbestimmte Unruhe hatte sie erfasst. Der Geruch beunruhigte sie offenbar mehr, als sie es sich eingestehen wollte. Mit einem Ärmel bedeckte sie ihreNase. Dann schob sie sich seitlich ins Dickicht und arbeitete sich vor bis zu dem Tümpel. Nur einen Steinwurf von ihr entfernt führte ein Pfad von der anderen Seite her auf die Wasserlache zu. Hannah schätzte die Entfernung vielleicht auf fünfzehn, allerhöchstens zwanzig Fuß.
    Der Tümpel war etwa so groß wie ein Dorfteich. Er war bedeckt mit kleinen Wasserlinsen und mit den zähen Fäden von Algen. Sie suchte das Ufer ab, doch sie konnte keinen Tierkadaver entdecken. Dagegen sah sie sich selbst im grünen Spiegel des Wassers. Ein zerschundenes Gesicht sah ihr entgegen, ein geschwollenes Auge, magere Wangen. Ihr einstmals blondes Haar, auf das sie so stolz gewesen war, war bis auf wenige zottige Büschel weggebrannt. Doch wenn man sich den Gossenschmutz wegdachte, verbarg sich dahinter noch ihre alte Schönheit. Müde tauchte sie die Hand ins Wasser, um ihr Spiegelbild zu verscheuchen.
    Beim Weitergehen zerkratzten die Brombeersträucher ihr Hände und Gesicht. Sie verhakten sie sich in ihrer Kleidung und in den restlichen Haaren, als wollten sie verhindern, dass sie sich davonstahl. Hannah wehrte sich, und je wütender sie gegen diese Krallen ankämpfte, desto unrettbarer verfing sie sich in dem Gestrüpp. Schließlich gab sie auf. Diese Welt war nichts für sie – und sie war nichts mehr für die Welt.
    »Bitte, Liss, hilf mir«, bat sie endlich tonlos. Doch die Schwarze Liss war offenbar weitergegangen und hörte sie nicht.
    »Liss!«, rief Hannah endlich. Sie hatte sich mit ihren wenigen verfilzten Haaren so verfangen, dass sie den Kopf nicht mehr drehen konnte. Bei jeder Bewegung hatte sie das Gefühl, sie risse sie sich die letzten vom Brand noch übrig gebliebenen Haare aus. Ihr Kopf wurde von den Ranken festgehalten. Sie hatte sich in den Brombeerranken verfangen wie eine Fliege im Netz einer Spinne.
    Sie griff zum letzten Mittel, das ihr noch einfiel: dem Messer der Luderin. Sie hatte es wieder in die Lederscheide gesteckt. Jetzt zog sie es heraus und begann sich loszuschneiden.
    Mit jeder Strähne, die fiel, fiel ein Teil ihres Stolzes. Jetzt war sie endgültig ganz unten. Tiefer sinken konnte sie nicht mehr. Noch tiefer lag nur noch die allerletzte Grube, die jedem Menschen zustand.
    Sie warf keinen Blick mehr auf die in den Ranken hängengebliebenen Haare, als sie sich wieder aus dem Gestrüpp zwängte. Wieder auf dem Weg, wurde ihr schlagartig klar, dass sie der Schwarzen Liss nicht gesagt hatte, was sie am Wasser wollte. Außerdem, durchfuhr es sie siedend heiß, hatte die Bettlerin all ihr Geld und einen Großteil des Geschmeides bei sich. Hannah sah die Bettlerin vor sich, wie sie sich umdrehte, wie sie schneller ging, wie sie zuletzt mit ihren humpelnden Schritten fast rannte, damit Hannah sie nicht mehr einholen konnte. Hannah sah vor ihrem inneren Auge das schiefe Grinsen, das die durch ihr dunkles Mal Gezeichnete aufsetzte, während sie den Schatz der Apothekerin, ihren Schatz, zählte. Sie hörte sie bereits lachen, überreizt lachen, weil sie so viel Dummheit und Ungeschicktheit wie bei dieser Hannah Meisterin noch niemals erlebt hatte. Die Schwarze Liss, sie war sicher längst über alle Berge mit ihrem Schatz ...
    Hannah stolperte weiter auf dem Pfad, blind von Tränen – und rannte plötzlich in die Schwarze Liss hinein.
    »Vorsicht!«, sagte die nur und drehte sich um.
    Hannah begann schrill zu lachen, konnte sich nicht mehr halten vor Lachen, vor Freude, vor Glück. Sie umarmte die Bettlerin ungestüm. Doch die erwiderte die Umarmung nicht. Schließlich wischte Hannah sich mit dem Ärmel über die Augen, klärte ihren Blick und sah erst jetzt, worauf die Schwarze Liss wohl schon seit einiger Zeit blickte. Stumm.
    Der süßlich faulige Geruch nach Verwesung war mit einem Mal durchdringend, und Scharen von Fliegen summten herum.
    »Nein«, sagte die Liss tonlos. »Ich bin nicht davongelaufen.«
    Hannah

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