Fuerstin der Bettler
albernes Geschwätz stören, und die Liss hatte vermutlich kein Bedürfnis weiter zu reden. Sie hatte ihr ohnehin mehr erzählt, als Hannah von sich selbst preiszugeben bereit gewesen wäre.
»Suchst du nach dem Kerl?«, durchbrach Hannah die Stille.
Die Schwarze Liss sagte lange nichts, sah hinüber zur Stadtmauer und hinauf in die Sonne, deren Licht gleißend in den Augen stach.
»Ja«, sagte sie. »Allerdings weiß ich nicht, nach wem ich suchen soll.« Sie verstummte, biss sich auf die Lippe und fuhr dann fort: »Aber irgendwann wird der Kerl vor mir stehen, und ich werde wissen, dass er und kein anderer es gewesen ist.«
»Hast du dich deshalb um mich gekümmert, Liss?«
»Ja. Weil ich spüre, dass in dir dasselbe Flammenherz schlägt, das sich an den Kerlen rächen will, die für all dein Unglück verantwortlich sind.« Sie schlug dabei auf den Fortsatz an ihrem Oberschenkel. »Mein Vater war ein lebenslustiger Mensch. Zu lebenslustig, als dass er sich selbst aufgehängt hätte. Außerdem hatte er eine Tochter zu versorgen und zu beschützen. Er musste mich vor dem Scheiterhaufen bewahren«. Sie deutete auf ihr Mal. »Es ist nicht einfach, mit solch einem Zeichen herumzulaufen.«
Hannah betrachtete das Blutmal, das von der Wange über den Hals verlief und sie bis zur linken Brust hinab verunstaltete. In schlechten Zeiten konnte dies ein Todesurteil sein.
»Den Tod der Mutter hatte er längst verkraftet. Er wollte nur das Häuschen nicht räumen, das der Bischof ihm wegen einiger seiner Essenzen überlassen hatte. Einmal stand so ein Hanswurst vor der Tür, so ein bunter adliger oder patrizischer Geck. Vater hat ihm einfach die Tür gewiesen und ihm bedeutet, er hätte das Recht, hier zusammen mit seiner Tochter bis ans Ende seiner Tage zu leben.« Die Liss hielt kurz inne, als wäre der letzte Satz, den sie sagen wollte, um so viel schwerer auszusprechen als alle anderen vorher. »Drei Tage später – war er tot.«
Die Witwe Hutter öffnete gerade das Fenster der Hütte. Ihr grauer Haarschopf und das eckige Gesicht mit den roten Wangen erschienen. Sie rief den Frauen zu, das Wasser mit der Lauge nicht einfach wegzuschütten, sondern damit das Beet zu wässern. Hannah begann das Wasser aus dem Zuber zu schöpfen und goss damit das Gemüse. Als sie zur Stadtwehr hinübersah, kam ihr ein Gedanke.
Hannah rief der Hutter Babett zu, sie würde ihr nach dem Bad gern die Bienenstiche auf die Gelenke setzen. Die Alte nickte. Kurze Zeit später humpelte sie steif zur Bank vor dem Hausund ließ sich stöhnend nieder. Hannah wandte sich wieder zu der Bettlerin.
»Liss«, fragte sie in das helle Gleißen der Nachmittagssonne hinein. »Wer hat das Lusthäuschen eigentlich bekommen, nachdem dein Vater und du nicht mehr da wart? Ist es an den Bischof zurückgefallen?«
Die Schwarze Liss zuckte mit den Achseln. »Wahrscheinlich. Aber ich weiß es nicht. Mich hat es nicht wieder an den Ort gezogen.«
Hannah nickte verstehend. »Wir sollten uns dennoch danach erkundigen.« Sie strich ihr sauberes Kleid glatt. »Lass uns aufbrechen, sobald ich die Babett versorgt habe.«
Hannah ging zur Babett hinüber, die ihr aufmunternd zunickte, und schob ihr die Röcke über die Knie hoch. Die Gelenke der Alten waren dick und gerötet.
Die Witwe Hutter strich Hannah übers Haar, als die so vor ihr kniete. »Ach, Kindchen, das Leben ist eine Plage. Ist man jung, hinkt der Verstand immer hinter dem Körper her, und der treibt uns zu allem möglichen Unsinn. Wird man alt und ist im Kopf endlich frei von allen körperlichen Bedrängnissen, dann will der Körper nicht mehr so recht. Schau mich an.« Sie lachte leise, obwohl Hannah wusste, wie sehr sie unter ihren gichtigen Gelenken litt.
Hannah strich über die geschwollenen Knie. Dann stand sie auf und ging hinters Haus zum Bienenkorb. Dort hing eine hölzerne Pinzette. Geschickt fing sie damit eine der Bienen am Einschlupfloch und hielt sie so, dass ihr Stachel gut sichtbar blieb. Dann eilte sie zu Babett zurück und setzte die Biene an deren Knie an. Sofort stach das Tier zu. Hannah ließ es so lange dort, bis der Stachel richtig saß, dann zog sie es weg. Der Stachel blieb in der Haut, und man sah, wie er weiter Gift in den Körper der Frau pumpte. Acht Bienen für jedes Knie brauchte sie und zweifür jeden Finger der knotigen Hand. Sie achtete darauf, dass sie keine Tiere nahm, die gelbe Pollenhöschen zum Korb trugen, um den Honigertrag nicht zu schmälern. Am wirksamsten
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