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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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sie, dass ihr Peiniger noch immer auf dieser Welt umherhumpelte. Wieder drohte die Furcht sich ihrer zu bemächtigen, aber da fühlte Hannah eine Hand auf ihrer Schulter. Sie kannte die Frau nicht, die sich zu ihr herabbeugte. Sie hörte nur, wie sie ihr leise ins Ohr flüsterte: »Sie ist noch so jung. Hilf ihr.«
    Hannah nickte stumm, und mit einem Mal war ihr Zittern verschwunden, und sie war wieder die Frau des Apothekers.
    »Legt sie auf den Tisch und bringt Lichter, so viel ihr entbehren könnt«, rief sie über die Schulter und dachte gleichzeitig, dass hier ein Sieg über den Tod auch ein Sieg über den Roten wäre.
    Hannah packte mit an. Sie trugen Nelda auf den Tisch in der Mitte. Die Frauen brachten Talglichter und Öllampen, aber all das künstliche Licht leuchtete die Wunde nicht richtig aus. Zu viel Schatten, zu viel Undeutlichkeit – Hannah konnte nur beginnen, die Frau zu säubern.
    Zuerst wusch sie ihr mit warmem Wasser die Beine. Dabei streifte sie auch den Oberschenkel des verletzten Beins. Die junge Frau zuckte zusammen, und Hannah besah sich die Stelle genauer. »Oh, der verfluchte Kerl!«, entfuhr es ihr.
    Ihre Blick und der Neldas trafen sich. Darin lag ein Vertrauen, wie es nur Frauen untereinander haben können.
    »Ich werde nichts verraten«, sagte Hannah und erntete einendankbaren Blick dafür. Sie wischte über den Bluterguss an Neldas Oberschenkel und sah die dunklen Spuren der Gewalt am Schoß. Der Rote hatte sich an dem Mädchen vergangen, wie er sich an ihr vergangen hatte.
    Hannah musste sich zusammennehmen, um nicht laut herauszuschreien. Sie würde diesem Kerl das Handwerk legen, wenn sie auch noch nicht wusste, wie sie das bewerkstelligen sollte.
    »Liss!«, schrie sie. »Liss!«
    »Was gibt es denn so Eiliges?« Die Bettlerin humpelte aus dem Hintergrund zu ihr hin.
    »Wusstest du, dass der Rote noch lebt?«
    Hannahs Stimme klang anklagend.
    »Ich habe es selbst eben erst erfahren«, sagte die Liss.
    »Gut. Ich versuche dem Mädchen hier zu helfen. Dafür machst du mir den Roten ausfindig.« Hannah stützte die Hände in die Hüften. In ihr wuchs ein Widerwille gegen diesen Unhold. Mit jedem Atemzug saugte sie in diesem Turmloch etwas ein, das nichts mit Mut zu tun hatte, sondern das eine Mischung war aus dem Leid der Frauen, das sich überall in diesen Wänden festgesetzt hatte, und dem Zorn gegen die Gewalt, der sie ausgesetzt waren. Vor ihrem inneren Auge stand die Kleine, die unten im Stadtgraben gelegen hatte und die niemals die Gelegenheit erhalten hatte, in eine Welt hineinzuwachsen, in der sie sich entwickeln konnte. Hannah atmete das Fluidum dieses Turms tief ein. Ihr war, als würde es ihre Seele aufrauen und damit empfänglich machen für etwas, was diesem Kerl, dem Roten, entgegengehalten werden musste.
    »Was zum Teufel hast du vor?«, fragte die Schwarze Liss.
    Hannah antwortete nicht sofort, sondern schwieg eine kleine Weile.
    »Was ich vorhabe, Liss?«, fragte sie schließlich. »Ich werde ihm ein Teufel sein, ein Huckauf, der sich auf ihn setzt und ihn nichtmehr loslässt. Er wird sich nicht mehr getrauen, gegen die Wand zu pinkeln, ein Glas Bier zu leeren oder nachts allein durch die Gassen zu humpeln. Das verspreche ich dir.«
    Hannah wandte sich wieder Nelda zu und begann den Unterschenkel zu untersuchen. Der Fäulnisgeruch nahm ihr schier den Atem. Das Bein hatte sich bereits entzündet, und an den Rändern begann die Wunde zu schwären. Sie entdeckte schon Maden am Bein.
    »Du musst die Maden entfernen!«, sagte die Liss und presste den Ellbogen auf die Nase.
    Hannah schloss kurz die Augen. Wenn sie die Frau retten wollte, musste sie überlegen, was ihr Mann, der auch als Arzt tätig gewesen war, immer gesagt hatte: »Der Herr, unser Gott, hat uns in der Natur so viele Heilmittel hinterlassen. Wir müssen sie nur finden und verwenden.« Irgendwann hatte er auch etwas über Maden gesagt, über Fliegenmaden. Er sagte etwas davon, dass er Menschen kennengelernt habe, die nur deshalb überlebt hatten, weil Fliegenmaden das böse Fleisch weggefressen hätten. Maden waren gut. Man musste den Maden vertrauen. Fliegen waren schlecht. Man musste daher nur darauf achten, dass die Schmeißfliegen nicht schlüpften.
    »Gib mir Wasser, das vorher gekocht hat, damit wir die Wunde säubern können. Die Maden lassen wir. Sie werden noch nützlich sein.«
    Hannah sah, wie Neldas Augen sich weiteten, wie sie den Mund öffnete, um etwas zu sagen, sich dann aber nicht

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