Fuerstin der Bettler
Herrn Jesus Christus, dass dieser ihn mit einer für die Kälte zu dünnen Filzdecke und mit einer schwachen Blase ausgestattet hatte. Nur deshalb hatte er überlebt. Er saß zusammengekauert da und überließ sich seinen Tränen, die ihm über die stoppligen Wangen flossen. Seine Zähne klapperten, und er hatte das Gefühl, als würde die Welt um ihn herum schwanken, obwohl er saß.
Was um alles in der Welt hatte er verbrochen, dass man ihn töten wollte?
Irgendwann rüttelte eine Hand ihn wach. Bruder Adilbert fuhr hoch und starrte in das Gesicht eines Mitbruders. Beide schrien auf vor Schreck.
Bruder Adilbert fasste sich rasch, doch er konnte sich nicht erheben. Er spürte seinen Körper nicht mehr. Er war durchgefroren bis auf die Knochen. Aber er lebte. Und nur das zählte.
»Ihr habt mich vielleicht erschreckt!«, murmelte der Mönch.
»Oh, Ihr mich auch, Bruder Konrad«, erwiderte Bruder Adilbert.
Bruder Konrad, der ihn gefunden und geweckt hatte, zog ihn an der Hand mühsam hoch. »Es hat schon zu den Vigilien geläutet«, sagte der Mönch.
»Danke, Bruder«, antwortete Adilbert.
»Ein Gelübde oder eine Bußübung?«, fragte Bruder Konrad, der damit das Schweigegebot brach.
Bruder Adilbert senkte den Blick. »Ich suche Buße, Bruder Konrad.«
Der Mönch ihm gegenüber brummte nur etwas Unverständliches, dann ging er kopfschüttelnd in Richtung Kirche.
Bruder Adilbert folgte dem Mönch. Bevor er sein Morgengebet verrichtete, wollte er sich jedoch den Ort ansehen, der ihm beinahe zur Falle geworden wäre. Vor seiner Zelle blieb er stehen, während sein Mitbruder weiterging. Adilbert musste sich zwingen, die Schwelle zu überschreiten und sich in die Finsternis der kleinen Zelle zu begeben.
Er setzte sich auf die Pritsche und tastete umher. Die Decke war völlig zerfetzt, und im Holz der Pritsche ertastete er fünf tiefe Kerben.
Bruder Adilbert hockte in dieser Höllenfinsternis – und das Zittern kam wieder, zusammen mit den Tränen. Er konnte es nicht verhindern, und mit einem Mal war er froh, dass es dunkel war.
Hier hätte ich liegen können, dachte er noch, und sah vor seinem inneren Auge eine Lache aus Blut, die sich unter seinem Lager bildete. Ihm wurde übel.
War dieser Anschlag auf sein Leben nur deshalb betrieben worden, weil er eine Urkunde gefälscht oder weil er das Mädchen abgewiesen und sich damit als unbestechlich erwiesen hatte? Zumindest als moralisch einigermaßen gefestigt. Der ganze Widersinn dieser Situation stieg ihm in den Hals und führte zu einem überreizten Kichern, das er nicht unterdrücken konnte. Er musste sich einfach täuschen.
Das krampfhafte Kichern verebbte schließlich. Der Mönch seufzte tief auf. Er barg sein Gesicht in den Händen und versuchte nachzudenken, doch ein Zittern erfasste seinen ganzen Körper und hinderte ihn daran, auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Wer wollte einem einfachen Mönch des Klosters Sankt Ulrich ans Leben?
Er saß da und starrte in die Finsternis. Plötzlich wurde ihm eines klar. Er konnte nicht mehr im Kloster bleiben. Der Unbekannte würde es wieder versuchen. Und das nächste Mal würde der Mörder ihn hier finden.
Bruder Adilbert schlüpfte aus seiner Zelle. Die blasse Helligkeit, die vom Licht des Mondes herstammte und den Gang blau flutete, tat ihm wohl. Er rannte Bruder Konrad nach, der sicher gerade in den Mönchschor von Sankt Ulrich und Afra einbog. Er wollte ein letztes Mal die Choräle singen, die für die Vigilien vorgesehen waren. Dann hatte der glücklose Mörder genügend Vorsprung, und er, Bruder Adilbert, würde das Kloster verlassen können.
8
A m Morgen versammelte Hannah die Frauen im Eingangsbereich des Turms. Sie verteilte die Aufgaben, teilte Messer aus, erklärte, wie man sich vor eindringenden Unbekannten schützte, schlug vor, dass sie ein Losungswort für den Zugang zum Haus vereinbaren sollten, gab es aus und schärfte den Frauen ein, keinen Mann einzulassen – und wenn sich doch einer einschleichen sollte, beherzt zuzustechen.
»Erinnert Euch daran, wie Nelda und Celante zu uns gebracht wurden«, sagte sie leise. »So sehen Frauen aus, wenn sie durch Männerhände gegangen sind. Das sollte euch eine Lehre sein.« Dann zog sie sich den Kapuzenmantel über, den sie dem Dürren Karl abgenommen hatte, und schlüpfte zusammen mit der Schwarzen Liss nach draußen.
Zwei Glockenschläge später standen die beiden Bettlerinnen vor dem Haus der Luderin, und noch bevor Hannah die Hand
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