Full House: Liebeserklärung an die Chaosfamilie (German Edition)
übernimmt.
»Wollen Sie nicht eingreifen?«, fragt mich die Mutter des Jungen.
»Sieht doch ganz so aus, als könnten sich die beiden selber einigen«, erwidere ich und versuche ein freundliches Lächeln, während meine Tochter »Du blödes Arschgesicht!« kreischt. Mein Lächeln gefriert, und ich erhebe mich, peinlich betroffen. »Vielleicht ist es doch besser, wenn ich …«
Da kommt auch schon die kleine Rotznase zu seiner Mami gerannt und heult sich aus: »Die hat mir meinen Eimer weggenommen!!!«
»Bist du sicher, dass es dein Eimer ist?«, frage ich mit väterlicher Stimme. »Wir haben nämlich genau so einen Eimer.«
»Klar«, sagt Clara, die plötzlich neben mir steht. »Aber den wolltest du ja nicht mitnehmen.«
»Dann ist das gar nicht dein Eimer? Wieso hast du ihn dem Jungen denn dann weggenommen?«
»Hab ich gar nicht. Er wollte ihn mir über den Kopf tun.« Jetzt sehe ich, dass auch Clara feuchte Augen bekommt. Wie immer schmilzt mein Herz. »Wirklich?« Ich wende mich wieder dem kleinen Penner zu: »Wie kannst du nur, du Zwerg! Das macht man nicht.« Und zur Mutter: »Ich denke, da hätten besser mal Sie hingehen sollen.«
»Das war nur, weil sie Pipi in meinen Eimer machen wollte.«
Die Frau schnappt nach Luft. Ich bin sprachlos. Clara zuckt mit den Schultern. »Und weil der Blödmann mich nicht gelassen hat, habe ich jetzt eine nasse Hose«, sagt sie und geht wieder zum Sandkasten.
Eine Viertelstunde später, ich habe Clara hinter den Büschen mit Wechselkleidern versorgt und die nassen Sachen unten im Buggy verstaut, wagen wir es, uns wieder zu zeigen. Die Mutter des Jungen ist jetzt im Gespräch mit einer anderen Mutter, die zwischenzeitlich mit ihren Zwillingen aufgetaucht ist. Das beruhigt mich, und ich setze mich einfach auf die nächste Bank, während Clara schaukeln geht. Endlich kann ich mein Buch aufschlagen, gemütlich lesen und mich ganz in die Welt von Kant und Nietzsche begeben (okay, wie gesagt war es ein Thriller , aber trotzdem ein gutes Buch). Bis erneut lautes Geheul losbricht. Die Zwillinge kommen gleichzeitig zu ihrer Mama gelaufenund plärren: »Das Mädchen hat uns mit Sand beworfen!« – »Mami, ich hab Sand in die Augen bekommen!«
Irritiert sehe ich mich um. Außer Clara gibt es da sonst kein Mädchen. Und Clara schaukelt. Vor und zurück. Vor und zurück. Nur ihr Grinsen verunsichert mich etwas. Die Zwillingsmutter wirft mir einen eisigen Blick zu und bemüht sich dann, mit einer Trinkflasche das Auge ihres Sohnes auszuwaschen, während der andere Sohn zur Schaukel geht und Clara runterschubst. Ich springe auf und rufe: »Hey!«
Der Kleine streckt mir die Zunge raus. Clara rappelt sich auf und packt die Schaukel, um sie dem Jungen mit Wucht entgegenzuschleudern. Der wird am Kopf getroffen und fällt. Theatralisch, aber wirksam, eine Traumschwalbe. »Also, jetzt reicht es aber!«, kreischt die Mutter des Jungen und packt ihren Balg an der Hand, als müsste sie ihn vor uns schützen. »Lernt man das beim Taekwondo?«
Inzwischen ist die Schaukel zurückgeschwungen und hat auch Clara am Kopf getroffen. Ich hechte zu ihr hin. Die Lippe blutet, vermutlich hat sie alle ihre schönen Zähne verloren. »Das ist alles deine Schuld, du Trottel!«, fahre ich den Jungen an, der Clara von der Schaukel geschubst hat. Er bricht in Tränen aus und rennt wieder zu seiner Mama. Er muss nicht weit rennen, denn die Frau steht bereits hinter mir, und als ich mich umdrehe, sagt sie: »So, und jetzt möchte ich Ihren Namen und Ihre Adresse haben.« Sie zückt einen Stift. »Sie hören von unserem Anwalt.«
»Anwalt?«, blöke ich – und habe plötzlich einen Geistesblitz. »Ich bin selber Anwalt! Das wird mir ein Vergnügen sein. Für offene Platzwunden gibt es Schmerzensgeld in Höhe von mehreren Tausend Euro. Bei bleibenden Schäden kann das leicht noch mehr werden. Und wenn ihr missratener Sohn meinem Schnuffel noch die Zähne kaputt gemacht hat, dann können Sie schon mal anfangen, ihren Bausparer aufzulösen. Das wird richtig teuer für Sie, aber richtig!« Ich schwinge mein Buch. »Steht alles hier drin. Strafgesetzbuch. BGB. Verfahrensrecht. Ha! Ich freu mich schon auf den Prozess!«
Ich habe die beiden Frauen und ihre Gören nie mehr auf diesem Spielplatz gesehen. Endlich hatte ich Ruhe und konnte ungestört lesen.
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Tagebucheintrag: 2. Juni,
12:30 Uhr – Küche
Beate ist in den letzten Tagen schlecht drauf. Nichts kann sie zufrieden stellen, und ich frage mich, was
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