Full House: Liebeserklärung an die Chaosfamilie (German Edition)
Kleine ins Bett zu bringen. Ich will keinen Stress mehr und entschließe mich, kurze Zeit im Wagen zu warten. Radio an und Kopf an die Nackenstütze … Sekunden später, wahrscheinlich noch vor Clara, bin ich fest eingeschlafen. Im Radio spielen sie gerade die Filmmusik von Stirb langsam.
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Tagebucheintrag: 17. November,
20:15 Uhr – Büro
Unser Nachbar hat mich verklagt und hat den Prozess gewonnen. Ich soll den ganzen Scheißzaun zahlen. Dabei war da nur ein kleines Loch, und gefahren bin ich auch nicht. Wenn man es so sieht, war es eigentlich höhere Gewalt. Beate beruhigt sich gar nicht mehr. Jedes Mal wenn ich sage: »Ich fahre jetzt ins Büro«, bekommt sie einen Lachkrampf und gibt Kommentare ab wie »Nimmst du wieder die Abkürzung durch Nachbars Garten?« oder ähnliche Gemeinheiten. Auch die Nachbarn machen sich mittlerweile über mich lustig. Sobald ich mit dem Wagen unser Grundstück verlasse, nehmen sie in gespielter Panik hinter Büschen oder Bäumen Deckung …
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Weihnachten,
das Fest des Friedens
Mit letzter Kraft – meine Lungen drohen zu platzen – laufe ich auf den Abhang zu. Verzweifelt mobilisiere ich meine letzten Reserven. Kann ich es schaffen? Gelingt es mir, den Wald, der sich unter mir im Tal wie ein grüner Teppich ausbreitet, zu erreichen? Nur dort wird es mir gelingen, mich zu verstecken, der tödlichen Gefahr zu entkommen.
Mit einem Schrei werfe ich mich den Abhang hinunter und lande unsanft auf unserem Schlafzimmerboden. Als ich die Augen öffne, sehe ich in die belustigt blickenden Augen meiner Frau.
»Ich hatte einen grauenvollen Albtraum«, stöhne ich und taste nach meinem Beckenknochen. »O Gott, ich glaube, ich habe mir den Arsch gebrochen!«
»Schatz, du hast dir gar nichts gebrochen und schon gar nicht deinen Hintern. Komm wieder ins Bett und erzähl mir, was du geträumt hast.« Kleine Pause. »Wenn es nicht zu lange dauert. Ich bin müde!«
»Mich hat ein grauenvolles Wesen verfolgt«, stoße ich hervor, noch immer unter Schock.
»Aha, dann weiß ich schon, was wieder los ist. Meine Eltern kommen zu Besuch, und du machst mal wieder auf Panik. Ich finde das geschmacklos und typisch Mann!«
Nach dieser nicht unbedingt logischen Analyse meiner Gefühlswelt löscht sie das Licht. Was daran typisch Mann sein soll, bleibt unbeantwortet.
Aber irgendwo hat sie natürlich recht. Ich empfinde den Besuch meiner Schwiegereltern immer wieder als eine ureigene Prüfung meines Seins. Natürlich sind »Schwiegereltern« nur die Eltern des Partners, nicht mehr und nicht weniger. Aber warum habe ich dann immer das Gefühl, unter ständiger kritischer Beobachtung zu stehen? Mein inneres Auge hört immerzu Sätze wie: »Hat der unsere Tochter überhaupt verdient? Ist er nicht ein Versager, unserer Tochter nicht würdig?«
Bea würde dazu nur sagen, dass ein »inneres Auge« mit Sicherheit nicht hören kann und dass das alles Quatsch ist.
Bei der Beurteilung meiner Schwiegereltern muss ich allerdings Unterschiede machen. Mein Schwiegervater ist für mich wie das Vorbild, das ich nie gehabt habe, da mein Vater früh verstarb. Er ist ein Freund, ein Ratgeber und ganz einfach ein wunderbarer Mensch.
Meine Schwiegermutter dagegen ist ein ganz anderer Fall. In ihren Augen habe ich Beate zu keiner Sekunde verdient, und mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Auch jeder andere Mann wäre chancenlos. Sie ist der Meinung, dass ihre Bea einen Mann verdient hat, der eine Mischung aus Brad Pitt, Albert Einstein und Papst Pius ist. Den Papst hätte ich vielleicht hingekriegt, wenn ich an die körperliche Enthaltsamkeit seit der Geburt unserer Tochter denke. Und Brad wird sowieso überschätzt. Aber Einstein? Keine Chance.
Der nächste Tag, Sie ahnen es, besteht aus Putzen, Saugen, Waschen, Aufräumen und anderen lästigen Tätigkeiten, die Frauen einfallen, wenn ihre Mütter im Anmarschsind. Unbegreiflich, welcher Sauberkeitsdrang bei meiner Frau ausbricht, wenn man nur den Namen »Renate« ausspricht. Renate heißt meine Schwiegermutter, aber das haben Sie sich vermutlich schon gedacht.
Ich habe mittlerweile begriffen, warum sie die meiste Zeit ein solch manisches Nur-nicht-zu-oft-aufräumen-Syndrom an den Tag legt. Sie spart ihre Kräfte für die Momente auf, in denen sich Renate ansagt. Und Renate sagt sich häufig an, um nicht zu sagen wöchentlich.
Ich erinnere mich noch gut an Weihnachten vor zwei Jahren. Meine Schwiegereltern hatten sich bei uns einquartiert, um die Festtage
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