Fummelbunker
öffnen. Mit Erleichterung registrierte ich die deutschen Verkehrsschilder. Kurz darauf drosselte Gregor die Geschwindigkeit und fuhr von der Autobahn. Er legte die Maschine beinahe waagerecht in die Steilkurve und brachte uns durch eine Unterführung. Während er eine grüne Ampelkreuzung passierte, nutzte ich die Pause und lockerte meine Gelenke. Ich spürte meine Knie nicht mehr. Meine Ohren klingelten und meine Haare standen wahrscheinlich in alle Richtungen ab. Ich sah an meinem Bein herunter und stellte fest, dass die Wunde bereits durch den Druckverband durchblutete. Dann setzte Gregor noch einmal nach und fuhr auf die andere Seite der Autobahn auf, um zur Wache zu gelangen. Das Motorrad kam auf dem Seitenstreifen unmittelbar vor der Abfahrt zum Stehen und Gregor hielt es mit beiden Füßen auf dem Boden im Gleichgewicht. Er nahm den Helm ab.
»Du musst zur Wache laufen, sonst sehen sie mich. Schaffst du das?«
Schwerfällig krabbelte ich den Sitz hinunter. Meine Knie waren kalt und taub, der Kopf vibrierte noch und es dauerte eine Weile, bis ich wieder aufrecht stehen konnte. Ich fühlte mich träge und ausgelaugt. Doch kaum, als ich das kaputte Bein durchstreckte und den Schmerz spürte, war ich hellwach.
»Kein Wort«, sagte er nur und belegte mich mit einem bitterernsten Blick.
Ich schlug ein. »Aber eines will ich noch wissen«, sagte ich mit ebenso ernstem Blick. »Was ist mit Boris Bäcker? Ist er tot?«
»Ja.«
»Warst du es?«
»Nein.« Er drehte den Helm um. »Wir reden darüber, wenn du wieder zu Hause bist.«
»Versprich mir das!«, fauchte ich. »Verschwinde nicht einfach wieder.«
Er nickte gutmütig, bevor er den Helm aufsetzte. Ich tat einen Schritt zur Seite und Gregor fuhr in ordnungsgemäßer Geschwindigkeit zurück auf die Autobahn.
15.
Erst hüpfte ich auf einem Bein, um die Abfahrt hinunterzugelangen, doch es war nicht nur mühselig, sondern sah auch noch unglaublich lächerlich aus. Irgendwann humpelte ich und ballte bei jedem Schritt, den ich mit dem verletzten Bein versuchte, die Hände zu Fäusten. Nach einigen Minuten war mir von meiner hechelnden Atmung schwindelig und ich knickte ein. Dabei fiel mir die Hand auf, in welche ich gebissen hatte, als Gregor mir das Projektil aus der Wade zog. Sie hatte immer noch eine deutliche und feuerrote Bissspur.
Die Wache kam mir ziemlich unbewohnt vor. Nur die beiden Polizeiwagen, die am Rande des Containers parkten, zeugten von Leben auf dieser Parzelle. Dann sah ich, wie jemand aus dem Nichts heraus in Richtung Autos schritt und ich brüllte wie von Sinnen den Abhang hinunter. Erst dachte ich, er würde mich wegen des lauten Verkehrs hinter mir nicht hören. Doch dann drehte er seinen Kopf in meine Richtung und ich ruderte mit beiden Armen. Endlich kam er auf mich zu. Ich humpelte ihm entgegen. Das T-Shirt am Bein war vom Blut durchtränkt, ich hatte den Eindruck, dass die Wunde seit der Not-OP noch mehr blutete als zuvor. Irgendwann, als der Typ sich näherte und meine Sicht zunehmend milchiger wurde, schien er die Verletzung an dem Bein zu erkennen und begann zu rennen. Als er unmittelbar vor mir stand, löste sich jeder Druck und Ehrgeiz wie ein Fremdkörper von mir und ich sackte in seine Arme. Er legte meinen Arm um seinen Nacken und ich nahm nur peripher wahr, wie er mich den abschüssigen Weg hinunterschleppte. Ein paar Meter vor dem Eingang kamen uns zwei seiner Kollegen entgegen.
»Ruft den Notarzt!«, brüllte er. Einer der Kollegen ging in den Container zurück, der zweite klemmte sich meinen anderen Arm über die Schultern. Sie transportierten mich in einen kleinen Raum mit einer Liege und legten als Erstes das kaputte Bein hoch. Sofort begann einer von ihnen, an dem T-Shirt-Verband rumzupopeln.
»Das ist ja eine Schusswunde!«, stellte er empört fest.
Ich merkte, wie meine Kräfte schwanden und ich hatte keinen Bock auf große Diskussionen. »Ich spreche mit niemandem«, verkündete ich großspurig. »Nur mit Alexander Schalkowski vom Polizeipräsidium Dortmund.«
»Sind Sie noch ganz bei Trost?«, fragte mich der Kollege, der mich zuerst aufgegriffen hatte. Ich sah ihn an. Er war in meinem Alter, trug einen blonden Igelschnitt und einen Schnauzbart, der ihn älter machte.
»Holen Sie Schalkowski her«, murmelte ich leise.
»Ich hole niemanden außer den Krankenwagen«, sagte er. Ich schloss die Augen und der Beamte patschte mir mit seiner Hand gegen die Wange.
»Wach bleiben!«, befahl er.
Wenige Minuten
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