Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fummelbunker

Fummelbunker

Titel: Fummelbunker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonja Ullrich
Vom Netzwerk:
einmischte. »Halt ihn hin«, schlug er schließlich vor. Er steckte eine Hand in die Tasche seiner Jacke und warf einen einzigen Schlüssel zu mir auf die Bettdecke. Es war der Hausschlüssel für meine Wohnung, den er seit einiger Zeit mit sich herumschleppte.
    »Soweit ich weiß, hast du deinen ja nicht mehr«, sagte er.
    Er hatte recht. Mein Schlüsselbund war immer noch in Dübels Gewahrsam.
    »Du bist mir noch ein paar Antworten schuldig«, raunte ich, als er zu verduften drohte.
    »Ich weiß«, sagte er und wiederholte: »Komm erst mal nach Hause.« Er war genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war.
     
    Nach einem weiteren Tag im Krankenhaus las mich Olaf in der Wartehalle auf. Eine Stunde zu spät. Er war vom Schrecken gezeichnet. Seine Haut war gräulicher als die Kalkwand hinter ihm und stand im völligen Kontrast zu seiner roten Nase; offenbar hatte der Heuschnupfen wieder Einzug gehalten. Ich kam ihm mit Krücken entgegen. Es war ein allzu bekannter Umstand für mich.
    »Tut mir leid, ich habe mich verfahren«, entschuldigte er sich karg und nahm mir den Beutel ab. Er hatte den Orientierungssinn einer Tanzmaus.
    Die Fahrt erwies sich erwartungsgemäß als schwierig. Eine unausgesprochene Wahrheit stand wie eine Betonwand zwischen uns und keiner wollte ein Wort darüber verlieren. Mir kam dieser Umstand sehr gelegen, aber Olafs Mauerfassade bekam langsam Risse. Lange würde er nicht mehr schweigen. Immerhin war er Journalist. Deswegen beschloss ich, ihm zuvorzukommen.
    »Also. Wie kam es, dass du dich mit jemandem wie Boris Bäcker angefreundet hast?«
    Olaf nickte, nahm einen tiefen Atemzug und streckte seine Wirbelsäule durch. Es schien, als wolle er etwas loswerden.
    »Ich habe Boris während meines Volontariats in Köln kennengelernt.« Er sah zu mir herüber. »Du weißt doch, der kleine Fachbuchverlag. Boris arbeitete dort als Lektor.«
    »Volontariat?« Ich rümpfte die Nase. Schon von Kindesbeinen an waren Olaf und ich immer getrennte Wege gegangen. Während ich im Grävingholzer Dickicht willkürlich Giftpilze verkokelte und Frösche fing, verbarrikadierte er sich oft tagelang in seinem Zimmer, um zu lesen. Weder mochte ich seine Freunde noch schleppte ich irgendwelche Freundinnen heim, in die er sich vergucken konnte. Im Gegensatz zu mir ging Olaf gern zur Schule und brachte als Konsequenz die besseren Noten mit. Das spiegelte sich später auch in unserem Karrieredenken wider: Ich hatte Ambitionen. Olaf aber hatte Ehrgeiz. Noch im gleichen Jahr, in dem ich meine BKK-Ausbildung antrat, entschwand er für einige Jahre nach Düsseldorf, um Politikwissenschaften zu studieren. Ich besuchte ihn nie, er besuchte nur unsere Eltern und wir verloren uns für lange Zeit aus den Augen. Von dem Volontariat in Köln erfuhr ich nur aus zweiter Quelle. Schließlich bekam ich einen Anruf, er sei wieder im Pott und wir trafen uns. Daraufhin verbesserte sich unsere Beziehung schlagartig. Wir führten Gespräche, tranken viel Kaffee und er lud mich zu seiner Hochzeit und den Taufen ein. Doch die achtjährige Lücke blieb und vieles aus seiner Studienzeit ist mir bis heute ein Rätsel.
    »Boris und ich verstanden uns auf Anhieb«, setzte Olaf fort. »Auch wenn er 20 Jahre älter ist als ich. Wir hingen zusammen rum, er zeigte mir das Kölsche Nachtleben.« Ein Grinsen umschmeichelte seine Lippen. »Und im Büro brachte er mir viele Dinge bei.« Seine Hände umklammerten das Lenkrad und seine Fingerknöchel wurden weiß. »Ein Jahr später, ein halbes Jahr nach dem G8-Gipfel, ging Boris zur Zeitung. Als Redakteur. Er wollte schon lange Politjournalismus machen. Und Vitamin B sei Dank bekam er bei der WAZ auch tatsächlich das Politikdossier. Damals wusste ich noch nicht, dass er ganz gezielt nach Dortmund wollte.«
    Ich schielte zu ihm herüber, aber er erwiderte meinen Blick nicht.
    »Als ich mit dem Volontariat fertig war, holte er mich auch zur WAZ. Ich habe ihm meinen Job zu verdanken.«
    »Er war dein Chef?«
    Olaf schüttelte den Kopf. »Er macht Politisches. Ich schreibe über das Tagesgeschehen. Zwar hat er mir bei meinen Büchern geholfen, aber in der Redaktion haben wir nie direkt zusammengearbeitet.«
    »Und was ist mit dem Westfälischen Beobachter?«
    »Dafür muss ich ein wenig ausholen.« Olaf rieb sich angestrengt die Stirn. »Fangen wir mit dem Westdeutschen Beobachter an. Der WB wurde 1930 von der NSDAP in Köln herausgegeben. Die Zeitung war vom Sensationsjournalismus geprägt, es gab

Weitere Kostenlose Bücher