Fundort Jannowitzbrücke
erinnert.«
Michael sackte in seinem Stuhl zurück. Zunächst hatte er geglaubt, daß er endlich einen nützlichen Hinweis bekommen würde. Schließlich war diese Anruferin keine gelangweilte Rentnerin, die den ganzen Tag aus dem Fenster sah und vermeintlich wichtige Hinweise hatte, mit denen sich überarbeitete Teams dann auch noch beschäftigen mußten.
Doch nun dachte er mutlos, daß wohl auch sie nur haltlose Denunziationen hatte.
»Ich habe damals gar nicht darüber nachgedacht«, fuhr sie fort. »Doch als ich diese Dinge in der Zeitung gelesen habe, ist mir eingefallen, wie er sich an Jaqueline in der Schule herangemacht hat. Er hat das nur getan, weil er dachte, daß sie eh keinen abbekommt. Und als sie ihm einen Korb gegeben hat, ist er völlig durchgedreht.«
»Wie heißt denn der junge Mann?« fragte er und versuchte, freundlich zu bleiben.
Sie zögerte wieder einen Moment. »Er heißt Olaf Nowack.«
Barbara Nowack war nervös. Es war bereits kurz vor zehn. Sie hatte pünktlich um neun in der Videothek sein wollen, um die morgendliche Ruhe zu nutzen. Es sollten keine Kunden anwesend sein.
Ihre Mutter hatte sie die Zeit vergessen lassen. Für einen Moment hatte Barbara sich den Luxus gegönnt, ihren Gefühlen nachzugeben. Doch das war jetzt vorbei, sie mußte handeln.
Sie stellte ihren Wagen auf den Parkplatz des neu errichteten Einkaufszentrums am Treptower Park. Der Gebäudekomplex lag wie ein gewaltiger Luftschutzbunker auf dem Brachland hinter den Wiesen, ein häßlicher Klotz voller Ramschläden, Discounter und Schnellrestaurants.
Der Berliner Videoring hatte seine Filiale im ersten Stock, direkt über dem McDonald’s-Restaurant im Erdgeschoß. Vor der Glastür blieb sie stehen und sah vorsichtig hinein. Kunden schienen nicht anwesend zu sein. Auch die Verkaufstheke mit den hohen Schrankwänden war verwaist. Nur ein junger Mitarbeiter war zu sehen, der die Regalwände abschritt und Ausleihkarten zu den Hüllen steckte.
Barbara stieß die Tür auf und trat ein. Der junge Mann sah sich kurz um und begrüßte sie. Dann wandte er sich wieder seinen Karten zu und beachtete sie nicht weiter.
Sie sah sich in Ruhe um. Die Verkaufstheke war mehrere Meter lang, ihre Öffnung lag in der Nähe der Eingangstür. Die Tür mit der Aufschrift »Personal« befand sich am entgegengesetzten Ende der Theke. Perfekt, dachte sie. Es würde ihre Flucht erleichtern.
Sie wandte sich den Regalen zu und ließ ihren Finger über die bunten Hüllen wandern. Der Videothekmitarbeiter stand noch immer mit dem Rücken zu ihr. Konzentriert betrachtete er eine Karte, ging ein paar Meter weiter und steckte sie zu einer Hülle.
Barbara zählte bis drei. Dann riß sie mit der Hand ein halbes Dutzend Verpackungen aus dem Regal und ließ sich mit ihnen zu Boden fallen. Die leeren Kunststoffschachteln schepperten laut auf dem Linoleumboden.
Der junge Mann drehte sich erschrocken um und lief zu ihr hinüber.
»Hallo?« rief er. »Ist Ihnen etwas passiert?«
Barbara stützte sich auf ihrem Ellbogen ab und stöhnte.
»Nein«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln. »Es ist nichts passiert. Ist sicher nur ein blauer Fleck.«
»Aber wieso sind Sie denn gefallen?« fragte er besorgt.
»Mein Kreislauf«, sagte sie knapp und massierte sich den Ellbogen.
Sie versuchte aufzustehen. Der Mitarbeiter reichte ihr seine Hand und zog sie hoch. Erschöpft hielt sie sich am Pfosten des Regals fest und atmete einige Male durch.
»Es geht Ihnen immer noch nicht gut«, sagte der Mann.
Sie winkte ab. »Ich habe häufiger Probleme mit dem Kreislauf. Es ist nicht halb so schlimm, wie es aussieht.«
Der junge Mann sah sie skeptisch an. »Sind Sie sicher, daß ich Ihnen nicht irgendwie helfen kann?«
Sie lächelte. »Wenn es Ihnen keine Umstände macht«, sagte sie. »Ein Glas Wasser, das hilft mir häufig schon weiter.«
»Aber natürlich. Ich bin sofort wieder da.«
Er lächelte ihr kurz zu und verschwand in den hinteren Räumen. Die Personaltür fiel mit einem Poltern hinter ihm ins Schloß.
Barbara zögerte keine Sekunde. Sie zog die blaue Plastikkarte aus ihrer Hosentasche und sprang hinter die Verkaufstheke. Die Computer waren bereits hochgefahren, sie mußte nur noch die Karte scannen. Wie das ging, hatte sie einige Male beobachtet.
Sie suchte nach dem Scanner. Aus dem Rechner führten einige Kabel heraus, von denen eines auf der Theke in einer Halterung endete, wo sie das handliche Scan-Gerät entdeckte. Sie riß es heraus und
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