Fundort Jannowitzbrücke
gewertet.«
»Was war das für ein Delikt?«
»Brandstiftung und schwere Körperverletzung«, sagte sie. »Er hat mit sieben weiteren Jugendlichen ein ehemaliges Verwaltungsgebäude angezündet, in dem Asylbewerber untergebracht waren. Die Täter stammten allesamt aus dem Umfeld der rechten Szene.«
Sie zog ein weiteres Blatt aus dem Stapel. »Die Jugendgerichtshilfe stufte ihn jedoch nicht als ideologischen Denker ein. Vielmehr als seelisch verarmten Menschen, der in der rechten Szene Halt und Anerkennung gesucht hat. Da ihm diese Anerkennung verweigert wurde, hat er sich schließlich abgewandt und mit der Polizei kooperiert.«
Wolfgang schüttelte den Kopf. »In der rechten Szene keinen Halt gefunden. So etwas habe ich auch noch nicht gehört. Was sagt denn die Gerichtshilfe über seinen Hintergrund?«
»Das Übliche. Gestörtes Verhältnis zu seinem Vater, Schläge und Erniedrigungen. Aufgrund schwerer Vernachlässigung für vier Jahre in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Nach mehrmaligem Entweichen aus dem Heim wurde er wieder von seinen Eltern aufgenommen. Dort erneut Schläge und Mißhandlungen. Schließlich hat er in der rechten Szene die Anerkennung gesucht, die ihm zu Hause versagt blieb. Doch seine Kommunikationsstörungen und seine emotionale Zurückgezogenheit haben ihn auch dort isoliert.«
Sie erreichten den Potsdamer Platz. Wolfgang konzentrierte sich für einen Moment auf den Verkehr und ordnete sich an der Kreuzung ein. Dann deutete er auf den Papierstoß auf Ankes Knien. »Steht in dem Gutachten etwas über die sexuellen Übergriffe?«
»Keine Ahnung«, sagte sie. »Das hier ist nur ein Auszug. Wir können erst Montag früh eine Kopie des gesamten Gutachtens anfordern.«
Sie nahm den obersten Stapel und legte ihn auf die Rückbank. Dann überflog sie die restlichen Papiere. »Im Juni 1998 sollte ein Verfahren wegen sexuellen Übergriffes aufgenommen werden. Doch dann ist es zu einem außergerichtlichen Vergleich gekommen. Er befand sich zu der Zeit in einer Jugendhilfeeinrichtung. Auf Drängen einer Sozialpädagogin erklärte er sich bereit, eine hohe Anzahl an Sozialstunden abzuleisten. Zudem sollte ein psychiatrisches Gutachten eine Prognose über seine sexuelle Entwicklung stellen.«
»Findest du in den Unterlagen mehr über dieses Gutachten?«
Sie suchte vergeblich danach. »Nein. Es sieht fast so aus, als wäre es nie erstellt worden. Ich habe hier allerdings die Stellungnahme der Sozialpädagogin.«
Sie zog ein weiteres Blatt aus dem Stapel. »Demnach war Tobias Wink als Siebzehnjähriger in seiner psychosexuellen Entwicklung stark verzögert. Die Übergriffe erklärt sie mit seiner Unfähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. Sie sieht sie als Ausdruck postpubertärer Entwicklungsverzögerungen und somit als temporär. Außerdem diagnostiziert sie eine hohe Sensibilität und ein hohes Maß an Intelligenz. Bei entsprechender Betreuung sieht sie gute Aussichten für den Jungen, seine Entwicklungsverzögerungen auszugleichen und berufliche und private Perspektiven zu entwickeln.«
»Läßt sich die Sache weiter verfolgen?«
Anke blätterte die restlichen Seiten durch. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Darüber ist nichts mehr dokumentiert«, sagte sie. »Aber zumindest hat es seitdem keine Übergriffe mehr gegeben, die zu einer Anzeige gekommen sind.«
»Das kann alles mögliche bedeuten.«
»Er könnte vorsichtiger vorgegangen sein oder sich zurückgehalten haben«, sagte sie.
»Oder aber er hat sich seine Opfer mit mehr Bedacht ausgewählt.«
Anke sah ihn an. »Du denkst, daß er unser Täter ist?«
Er zuckte mit den Schultern. »Das werden wir wissen, wenn wir einen DNA-Vergleich haben. Immerhin ist dies zum ersten Mal eine wirkliche Spur.«
Dann schaltete er einen Gang höher und drückte das Gaspedal durch. Wenn sie sich beeilten, würden sie in fünfzehn Minuten in Pankow sein können.
Als Barbara auf die Holzdielen aufschlug, wurde ihr für einen Augenblick schwarz vor Augen. Es mußten zwei oder drei Sekunden vergangen sein, denn als sie wieder aufsah, stand Tobias Wink bereits über ihr.
Er hielt einen Stuhl hoch über seinem Kopf. Sie sah gerade noch, wie er ausholte, um ihn mit aller Kraft auf sie niederschmettern zu lassen, da rollte sie sich instinktiv zur Seite und hielt sich am Vorhang fest. Der Stuhl krachte neben ihr auf den Boden. Barbara zuckte zusammen und zog den Vorhang an ihren Körper. In diesem Moment sah sie die Pistole. Sie
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