Fundort Jannowitzbrücke
schüttelte unglücklich den Kopf, als wäre ihr der Vertrauensbruch jetzt erst bewußt geworden. »Ich hätte es nicht tun dürfen«, sagte sie erschöpft. »Ich hätte bis morgen warten müssen. Aber sie klang so verzweifelt. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, daß sie in Gefahr ist.«
Michael betrachtete die Nummer nachdenklich und fragte sich wieder, wieso er sie zu kennen glaubte. Es ließ ihm keine Ruhe.
Maria entschuldigte sich, stand auf und ging zu den Toiletten. Michael sah ihr nach und wartete, bis die Tür hinter dem leuchtendroten Kleid zuschlug. Dann faßte er einen Entschluß.
Er zog sein Handy aus der Tasche und gab die Nummer ein. Eigentlich wollte er abwarten, wer sich am anderen Ende melden würde, und dann wieder auflegen. Als es jedoch in der Leitung knackte und er die Stimme des Mannes hörte, der das Gespräch annahm, war er für einen Moment wie gelähmt. Nur mühsam drückte er das Gespräch weg. Er wußte jetzt, warum ihm die Nummer vertraut erschienen war. Er hatte sie vor weniger als zwölf Stunden schon einmal gewählt. Es war die Nummer von Tobias Wink.
Wolfgang Herzberger gähnte ausgiebig und sah auf den kleinen Taschenwecker, der neben seinem Computer auf dem Schreibtisch stand. Es war bereits nach zehn. Er war seit über vierzehn Stunden im Einsatz. In dieser Nacht würde nichts mehr passieren, sagte er sich. Es war Zeit, nach Hause zu gehen.
Er rollte mit seinem Bürostuhl zurück und stand mühsam auf. Seine Beine schmerzten, und sein rechter Fuß war eingeschlafen. Es war einer dieser Momente, in denen er sein Schlafdefizit deutlich spürte. Vielleicht wurde er langsam zu alt für diese Arbeit.
Er nahm seinen Mantel vom Haken und zog ihn über. Dann trat er ans Fenster und sah hinaus. Gegenüber vom Polizeigebäude standen einfache Mietshäuser. Ehepaare saßen vor dem Fernseher, Kinder liefen in Schlafanzügen umher, ein Mann saß auf seinem Bett und las ein Buch.
Direkt gegenüber entdeckte er eine Runde Skatspielerinnen, die um einen Küchentisch saßen. Sie warfen die Karten ab, rauchten, tranken und schienen unendlich viel Spaß zu haben. Wolfgang beneidete die Frauen auf der anderen Straßenseite. Er hätte auch gern auf eine so einfache Art und Weise den Samstagabend verbracht, und er fragte sich, wie lange es her war, daß er einfach nur mit Freunden um einen Tisch gesessen und Karten gespielt hatte.
Er knöpfte seinen Mantel zu. Plötzlich hörte er jemanden den Flur hinablaufen. Eine Kollegin bremste vor seiner Tür ab und klopfte gegen den Türrahmen. Bevor Wolfgang reagieren konnte, stand sie mitten im Zimmer und sah ihn aufgeregt an.
»Chef!« sagte sie. »Du kannst deinen Mantel wieder ausziehen.«
»Hast du was, Anke?« fragte er überrascht.
Sie grinste ihn an und zog ein Blatt Papier hervor. »Das Ergebnis der Pkw-Überprüfung. Wir haben alle dunkelgrünen Ford Fiesta in Pankow überprüft, wie du gesagt hast.«
Wolfgang winkte müde ab. »Falls es denn überhaupt ein Fiesta war«, sagte er. »Die Zeugin scheint nicht sonderlich zuverlässig.«
»Was ist denn mit dir los?« erwiderte Anke. »Es könnte schließlich eine Spur sein.«
»Du hast ja recht«, sagte er und lächelte. »Schieß los.«
»Also gut«, sagte sie. »In Pankow sind siebzehn solcher Fiesta gemeldet. Zwei von diesen siebzehn Haltern sind vorbestraft. Der eine ist Hubert Raste, vierundvierzig Jahre alt, arbeitslos. Er hat eine Vorstrafe wegen Betrugs und Veruntreuung. Hat drei Jahre gesessen, ist seit Oktober wieder draußen.«
»Und der andere?« fragte Wolfgang.
»Volltreffer«, sagte sie. »Tobias Wink, zweiundzwanzig Jahre alt, zahllose Vorstrafen wegen Körperverletzung, Brandstiftung, gewaltsamem Raub. Das meiste davon jedoch auf Bewährung. Einmal gab es allerdings ein Jahr mit anschließender Bewährungsstrafe. Seitdem ist nichts mehr gewesen.« Sie sah auf und grinste erneut. »Außerdem lagen gegen ihn insgesamt vier Anzeigen wegen sexueller Belästigung vor. Eine dieser Anzeigen hat sogar zu einem Verfahren geführt, das später allerdings fallengelassen wurde.«
Wolfgang war sprachlos.
»Mit Hilfe seines Betreuungshelfers hat er nach dem Knast eine Ausbildung als Maler und Lackierer gemacht«, fuhr sie fort. »Die Baustelle, auf der er bis vor einem halben
Jahr beschäftigt war, lag direkt am Schloßpark, in dem die ersten beiden Frauen ermordet wurden. Und schließlich ist Wink einen Meter neunzig groß, also genau die Maßgabe der Rechtsmedizin.«
»Also
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