Funke, Cornelia
schlafen.«
Seine
Schulter schmerzte, und er glaubte zu spüren, wie der schwarze Zauber der Hexe
sich mit dem Fluch der Dunklen Fee maß.
»Was wirst
du tun, wenn die Beeren wirken? Die beiden zurückbringen?«
Fuchs gab
sich Mühe, gleichgültig zu klingen, aber Jacob hörte trotzdem die
unausgesprochene Frage hinter ihren Worten. Er konnte Fuchs noch so oft sagen,
dass ihre Welt ihm gefiel. Sie verlor nie die Angst, dass er eines Tages in den
Turm hinaufsteigen und nicht zurückkommen würde.
»Ja,
sicher«, sagte er. »Und sie leben glücklich bis an ihr Lebensende.«
»Und wir?«
Fuchs schmiegte sich an ihn, als die kalte Nachtluft ihn schaudern ließ. »Der
Winter kommt. Wir könnten nach Süden gehen, nach Grenadia oder Lombardien, und
dort nach dem Stundenglas suchen.«
Das
Stundenglas, das die Zeit anhielt. Noch vor ein paar Wochen hatte er an nichts
anderes gedacht. Der Sprechende Spiegel. Der Gläserne Schuh. Das Spinnrad, das
Gold spann ... Es gab immer etwas oder jemanden, nach dem man in dieser Welt
suchen konnte. Und meist ließ ihn das vergessen, dass er den Einzigen, den er
je wirklich hatte finden wollen, vergebens gesucht hatte.
Jacob nahm
ein Stück Brot von dem Teller und hielt es Fuchs hin. »Wann hast du dich
zuletzt verwandelt?«, fragte er, als sie gierig danach schnappte.
Sie wollte
davonhuschen, aber er hielt sie fest. »Fuchs!«
Sie biss
nach seiner Hand, doch schließlich streckte sich der Fuchsschatten, den das
Mondlicht neben den Brunnen zeichnete, und das Mädchen, das neben Jacob
kniete, stieß ihn mit kräftigen Händen fort.
Fuchs. Ihr
Haar war rot wie der Pelz, der ihr so viel lieber war als die Menschenhaut. Es
fiel ihr so lang und dicht über den Rücken, dass es fast so aussah, als trüge
sie immer noch ihr Fell. Auch das Kleid, das ihr die sommersprossige Haut
bedeckte, schimmerte im Mondlicht wie der Pelz der Füchsin, und sein Stoff
schien aus demselben seidigen Haar gewebt.
Sie war
erwachsen geworden in den letzten Monaten, fast so plötzlich, wie ein Welpe zur
Füchsin wird. Aber Jacob sah immer noch das zehnjährige Mädchen neben sich
knien, das eines Nachts statt der Füchsin am Fuß des Turmes geschluchzt hatte,
weil er länger als versprochen in der Welt geblieben war, aus der er stammte.
Fuchs war Jacob fast ein Jahr gefolgt, ohne dass er sie je in Menschengestalt
gesehen hatte, und Jacob erinnerte sie immer wieder daran, dass sie diese
Gestalt verlieren konnte, wenn sie das Fell allzu lange trug. Auch wenn er
wusste, dass Fuchs, hätte sie sich entscheiden müssen, immer den Pelz gewählt
hätte. Sie hatte mit sieben eine verwundete Füchsin vor den Stöcken ihrer zwei
älteren Brüder gerettet und am nächsten Tag das pelzige Kleid auf ihrem Bett
gefunden. Es hatte ihr die Gestalt geschenkt, die sie inzwischen als ihr wahres
Ich empfand, und es war Fuchs' größte Angst, dass jemand das Kleid eines Tages
stehlen und ihr das Fell wieder nehmen könnte.
Jacob
lehnte sich gegen den Brunnen und schloss die Augen. Es wird alles gut, Jacob. Aber die Nacht wollte einfach
nicht enden. Er spürte, wie Fuchs den Kopf auf seine Schulter legte, und
schließlich schlief er ein, neben sich das Mädchen, das die Haut nicht wollte,
um die sein Bruder kämpfen musste. Er schlief unruhig und selbst seine Träume
waren aus Stein. Chanute, der Zeitungsjunge auf dem Markt, seine Mutter, sein
Vater - sie alle erstarrten zu Statuen, die neben dem toten Schneider standen.
»Jacob!
Wach auf!«
Fuchs trug
wieder ihr Fell. Das erste Morgenlicht stahl sich durch die Tannen, und seine
Schulter schmerzte so sehr, dass er kaum auf die Füße kam. Alles wird gut, Jacob. Chanute kennt diese Welt wie kein anderer. Weißt du
noch, wie er dir den Hexenfluch ausgetrieben hat? Du warst schon halb tot. Und
der Stilzbiss. Oder sein Rezept gegen Wassermanngift ...
Er ging
auf das Lebkuchenhaus zu und sein Herz schlug mit jedem Schritt schneller.
Der
süßliche Geruch im Innern nahm ihm fast den Atem. Vielleicht schliefen Will und
Clara deshalb so fest. Sie hatte den Arm um Will geschlungen, und das Gesicht
seines Bruders war so friedlich, als schliefe er im Bett eines Prinzen und
nicht in dem einer Kinderfresserin. Aber der Stein maserte seine linke Wange,
als wäre er in Wills Haut ausgelaufen, und an der linken Hand waren die
Fingernägel schon fast so schwarz wie die Krallen, die ihm das Steinerne
Fleisch in die Schulter gesät hatten.
Wie laut
das Herz schlagen konnte. Bis es einem den
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