Funke, Cornelia
Atem nahm. Alles wird gut.
Jacob
stand immer noch da und starrte den Stein an, als sein Bruder sich regte. Sein
Blick verriet Will alles. Er griff sich an den Hals und folgte dem Stein mit
den Fingern die Wange hinauf.
Denk nach, Jacob! Aber sein Verstand ertrank in der
Angst, die er auf dem Gesicht seines Bruders sah.
Sie ließen
Clara schlafen, und Will folgte ihm nach draußen wie ein Schlafwandler, den ein
Albtraum gefangen hielt. Fuchs wich vor ihm zurück, und der Blick, den sie
Jacob zuwarf, sagte nur eins.
Verloren.
Und genau
so stand Will da. Verloren. Er fuhr sich über das entstellte Gesicht, und Jacob
sah dort zum ersten Mal nicht das Vertrauen, das sein Bruder so viel leichter
gewährte als er, sondern all die Vorwürfe, die er selbst sich machte. Hättest du besser aufgepasst, Jacob. Wärst du mit ihm nur nicht so weit
nach Osten geritten. Wärst. Hättest.
Will trat
an das Fenster, hinter dem der Ofen der Hexe stand, und starrte auf das Abbild,
das die dunklen Scheiben ihm zeigten. Jacob aber blickte auf die Spinnweben,
die schwarz vom Ruß unter dem zuckerweißen Dach hingen. Sie erinnerten ihn an
andere Netze, ebenso dunkel, gesponnen, um die Nacht darin zu fangen.
Was für
ein Dummkopf er war! Was wollte er bei den Hexen? Es war der Fluch einer Fee. Einer Fee! Fuchs sah ihn beunruhigt an.
»Nein!«,
bellte sie.
Manchmal
wusste sie, was er dachte, bevor er selbst es tat. »Sie wird ihm helfen können!
Schließlich ist sie ihre Schwester.«
»Du kannst
nicht zu ihr zurück! Nie wieder.«
Will
wandte sich um. »Zurück zu wem?«
Jacob
antwortete ihm nicht. Er griff nach dem Medaillon, das er unter dem Hemd trug.
Seine Finger erinnerten sich immer noch daran, wie er das Blütenblatt darin
gepflückt hatte. So wie sein Herz sich an die erinnerte, vor der das Blatt ihn
beschützen sollte.
»Geh Clara
wecken«, sagte er zu Will. »Wir brechen auf. Es wird alles gut.«
Es war ein
weiter Weg, vier Tage, wenn nicht mehr, und sie mussten schneller als der Stein
sein. Fuchs sah ihn immer noch an. Nein, Jacob.
Nein!, flehten ihre Augen.
Natürlich
erinnerte sie sich ebenso gut wie er, wenn nicht besser.
Furcht. Zorn. Verlorene Zeit... »Das müssen furchtbare Verletzungen
gewesen sein.«
Aber es
gab nur noch den einen Weg, wenn er weiter einen Bruder haben wollte.
11
HENTZAU
Dem Menschengoyl,
den Hentzau in der verlassenen Kutschstation fand, wuchs eine
Haut aus Malachit. Das dunkle Grün maserte ihm schon das halbe Gesicht. Hentzau
ließ ihn laufen wie all die anderen, die sie gefunden hatten, mit dem Rat, im
nächsten Goylcamp Zuflucht zu suchen, bevor seine eigenen Artgenossen ihn
erschlugen. Aber noch war kein Gold in seinen Augen zu sehen, sondern nur die
Erinnerung, dass seine Haut nicht immer aus Malachit gewesen war. Er rannte davon,
als gäbe es noch einen Ort, an den er zurückkehren konnte, und Hentzau
schauderte bei dem Gedanken, dass die Fee ihm eines Tages Menschenfleisch in
die Jaspishaut säen könnte.
Malachit,
Blutstein, Jaspis, sogar die Hautfarbe des Königs hatten er und seine Soldaten
gefunden, aber natürlich nicht den Stein, nach dem sie suchten.
Jade.
Alte
Frauen trugen sie als Glücksbringer um den Hals und knieten heimlich vor
Götzen, die daraus gemacht waren. Mütter nähten sie ihren Kindern in die
Kleider, damit der Stein sie furchtlos machte und beschützte. Aber nie hatte es
einen Goyl gegeben, dessen Haut aus Jade war.
Wie lange
würde die Dunkle Fee ihn suchen lassen? Wie lange würde er sich zum Narren
machen müssen, vor seinen Soldaten, dem König und vor sich selbst? Was, wenn
sie den Traum nur erfunden hatte, um ihn von Kami'en zu trennen? Und er war
losgezogen, treu und gehorsam wie ein Hund.
Hentzau
blickte die verlassene Straße hinunter, die sich zwischen den Bäumen verlor.
Seine Soldaten waren nervös. Die Goyl mieden den Schwarzen Wald so, wie die
Menschen es taten. Die Fee wusste auch das. Es war ein Spiel. Ja, das war es.
Nichts als ein Spiel, und er war es leid, ihren Hund zu spielen.
Die Motte
setzte sich Hentzau auf die Brust, als er gerade den Befehl zum Aufsitzen geben
wollte. Sie krallte sich da fest, wo unter der grauen Uniform sein Herz schlug,
und Hentzau sah den Menschengoyl ebenso deutlich, wie die Fee ihn in ihren
Träumen sah.
Die Jade
durchzog seine Menschenhaut wie ein Versprechen. Es konnte nicht sein.
Doch dann gebar die Tiefe einen König, und in einer Zeit großer Gefahr
erschien ein Goyl aus Jade,
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