Funke, Cornelia
er
nur erst zurück wäre.
21
SEINES BRUDERS HÜTER
Als Jacob
auf die Höhle zuritt, kam Fuchs ihm entgegen, aber Will und Clara waren
nirgends zu sehen.
»Sieh an.
Die räudige Füchsin läuft dir immer noch nach?«, spottete Valiant, als Jacob
ihn vom Pferd hob. Er hatte ihn mit einer Silberkette gefesselt, dem einzigen
Metall, das Zwerge nicht wie Zwirn zerrissen.
Jacob
hätte sich nicht gewundert, wenn Fuchs Valiants Bemerkung mit einem Biss
beantwortet hätte, aber sie schien den Zwerg gar nicht zu sehen. Irgendetwas
war geschehen. Ihr Fell war gesträubt und an ihrem Rücken hafteten ein paar
weiße Federn.
»Du musst
mit deinem Bruder reden«, sagte sie, während Jacob Valiant an den nächsten
Baum band.
»Wieso?«
Er warf einen besorgten Blick zu der Höhle, in der Will sich verbarg, aber
Fuchs wies zu den Pferden. Clara schlief dort im Schatten einer Buche. Ihr Hemd
war zerrissen und Jacob sah Blut an ihrem Hals.
»Sie haben
sich gestritten«, sagte Fuchs. »Er weiß nicht mehr, was er tut!«
Der Stein ist schneller als du, Jacob.
Jacob fand
Will im dunkelsten Winkel der Höhle. Er saß auf dem Boden, den Rücken gegen den
Fels gelehnt.
Vertauschte Rollen, Jacob. Sonst war immer er es gewesen, der
etwas ausgefressen und in der Dunkelheit gesessen hatte, in seinem Zimmer, in
der Wäschekammer, im Büro seines Vaters. »Jacob? Wo
bist du?«
»Was hast du nun wieder angestellt?« Immer
Jacob. Aber nicht Will. Niemals Will.
Die Augen
seines Bruders schimmerten wie Münzgold in der Dunkelheit.
»Was hast
du zu Clara gesagt?«
Will
blickte auf seine Finger und ballte die Faust.
»Ich weiß
es nicht mehr.«
»Unsinn!«
Will war
nie ein guter Lügner gewesen.
»Du warst
es, der sie mitnehmen wollte! Oder erinnerst du dich daran auch nicht mehr?« Hör auf, Jacob. Aber seine Schulter schmerzte,
und er war es leid, auf seinen Bruder aufzupassen.
»Bekämpf
es!«, fuhr er Will an. »Du kannst dich nicht immer darauf verlassen, dass ich
es für dich tue!«
Will
richtete sich langsam auf. Seine Bewegungen waren kraftvoller geworden, und es
war lange her, dass er Jacob kaum bis zur Schulter gereicht hatte.
»Verlassen,
auf dich?«, sagte er. »Das hab ich mir schon mit fünf abgewöhnt. Unsere Mutter
hat leider etwas länger gebraucht. Und ich durfte mir jahrelang nachts ihr
Weinen anhören.«
Brüder.
Es war,
als stünden sie wieder in der Wohnung. Auf dem weiten Flur mit all den leeren
Zimmern und dem dunklen Fleck auf der Tapete, wo das Foto ihres Vaters gehangen
hatte.
»Seit wann
macht es Sinn, sich auf jemand zu verlassen, der nie da ist?« Wills Stimme
teilte die Splitter fast beiläufig aus, aber sie waren scharf. »Du hast vieles
mit ihm gemeinsam. Nicht nur das Aussehen.«
Er
musterte Jacob, als vergliche er sein Gesicht mit dem ihres Vaters.
»Keine
Sorge, ich bekämpfe es«, sagte er. »Schließlich ist es meine Haut, nicht deine.
Und ich bin immer noch hier, oder? Tue, was du sagst. Reite dir nach. Schlucke
die Angst herunter.«
Valiants
Stimme drang zu ihnen herein. Er versuchte, Fuchs zu überreden, ihn von der
Silberkette zu befreien.
Will
nickte nach draußen. »Ist das der Führer, von dem du erzählt hast?«
»Ja.«
Jacob zwang sich, den Fremden anzusehen, der aussah wie sein Bruder.
Will trat
auf den Höhleneingang zu und hielt die Hand vor die Augen, als das Tageslicht
sein Gesicht fand.
»Es tut
mir leid, was ich zu Clara gesagt habe«, sagte er. »Ich werde mit ihr reden.«
Dann trat
er nach draußen. Und Jacob stand in der Dunkelheit und spürte die Splitter. Als
hätte Will den Spiegel zerschlagen.
22
TRÄUME
Es war
Nacht, aber die Dunkle Fee schlief nicht. Die Nacht war zu schön, um sie zu
verschlafen. Den Menschengoyl sah sie trotzdem. Inzwischen träumte sie von ihm,
egal, ob sie wach war oder schlief. Ihr Fluch hatte schon einen Großteil seiner
Haut in Jade verwandelt. Jade. Grün wie das Leben selbst. Steingewordener
Überfluss. Herzstein, gesät von der Herzlosen. Er würde so viel schöner sein,
wenn die Jade erst all die Menschenhaut ersetzt hatte und er zu dem wurde, was
die Farbe seiner Haut versprach. Zukunft, in der Vergangenheit beschlossen. All
die Dinge, die versteckt waren in den Falten der Zeit. Nur die Träume wussten
von ihnen, und sie verrieten ihr so viel mehr als jedem Goyl oder Menschen,
vielleicht, weil Zeit nichts bedeutete, wenn man unsterblich war.
Sie hätte
in dem Schloss mit den zugemauerten Fenstern
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