Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Funke, Cornelia

Funke, Cornelia

Titel: Funke, Cornelia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rekkless
Vom Netzwerk:
Farbe, die ich noch bei keinem von
ihnen gesehen habe.«
    Jacob
hätte ihm zu gern in sein hässliches Gesicht geschlagen. Stattdessen zog er
einen Goldtaler aus dem Taschentuch.
    »Du
bekommst einen zweiten am anderen Ufer, wenn du uns noch heute übersetzt.«
    Der
Fährmann starrte begierig auf den Taler, aber Valiant griff nach Jacobs Arm und
zog ihn zur Seite.
    »Lass uns
bis morgen warten!«, zischte er ihm zu. »Es wird schon dunkel und der Fluss
wimmelt von Loreley.«
    Loreley.
Jacob blickte über das träge dahinfließende Wasser. Seine Großmutter hatte
manchmal ein Lied mit demselben Namen gesungen. Der Text hatte ihn als Kind
schaudern lassen, aber die Geschichten, die man in dieser Welt von den Loreley
erzählte, waren noch wesentlich finsterer.
    Trotzdem.
    Er hatte
keine Wahl.
    »Keine
Sorge!« Der Fährmann streckte ihm die schwielige Hand hin. »Wir werden sie
schon nicht wecken!«
    Aber als
Jacob den Goldtaler hineinfallen ließ, griff er in die ausgebeulten Taschen und
drückte ihm und Valiant Wachspfropfen in die Hand. Sie sahen aus, als hätten
sie schon in vielen Ohren gesteckt.
    »Nur zur
Vorsicht. Man kann ja nie wissen.«
    »Ihr
braucht keine!« Er schenkte Clara ein verschlagenes Lächeln. »Die Loreley
haben es nur auf Männer abgesehen.«
    Fuchs
tauchte erst auf, als sie die Pferde schon auf die Fähre führten. Sie zupfte
sich ein paar Federn aus dem Fell, bevor sie auf das flache Boot sprang. Die
Pferde waren unruhig, aber der Fährmann schob den Goldtaler in seine Tasche und
löste die Seile.
    Die Fähre
trieb auf den Fluss hinaus. Hinter ihnen lösten sich die Häuser von Blenheim in
der Dämmerung auf und das einzige Geräusch in der abendlichen Stille war das
Schlagen des Wassers gegen den Fährenrumpf. Das andere Ufer kam langsam näher
und der Fährmann zwinkerte Jacob zuversichtlich zu. Aber die Pferde waren immer
noch unruhig und Fuchs stand mit aufgestellten Ohren da.
    Eine
Stimme wehte über den Fluss.
    Zuerst
klang sie wie die eines Vogels, doch dann immer mehr wie die einer Frau. Die
Stimme kam von einem Felsen, der links von ihnen aus dem Wasser ragte, so grau,
als wäre die Dämmerung zu Stein geworden. Eine Gestalt löste sich davon und
glitt in den Fluss. Eine zweite folgte. Sie kamen von überall.
    Valiant
stieß einen Fluch aus. »Was habe ich dir gesagt?«, fuhr er Jacob
an. »Schneller!«, rief er dem Fährmann zu. »Nun mach schon.«
    Aber der
schien weder den Zwerg noch die Stimmen zu hören, die immer lockender über das
Wasser klangen. Erst als Jacob ihm die Hand auf die Schulter legte, fuhr er
herum.
    »Schwerhörig!
Der verschlagene Hund ist fast so taub wie ein toter Fisch!«, schrie Valiant
und stopfte sich hastig die Wachspfropfen in die Ohren.
    Der
Fährmann zuckte nur die Achseln und klammerte sich fest an sein Ruder, und
Jacob fragte sich, wie oft er schon ohne seine Passagiere zurückgekommen war,
während er sich das schmutzige Wachs in die Ohren schob.
    Die Pferde
scheuten. Er konnte sie kaum bändigen. Das letzte Tageslicht schwand, und das
andere Ufer kam so langsam näher, als triebe das Wasser sie wieder zurück.
Clara trat dicht an seine Seite, und Fuchs stellte sich schützend vor ihn,
obwohl sich ihr das Fell vor Angst sträubte. Die Stimmen wurden so laut, dass
Jacob sie trotz der Pfropfen hörte. Sie lockten ihn zum Wasser. Clara zog ihn
von der Reling zurück, aber der Gesang drang ihm durch die Haut wie süßes Gift.
Köpfe tauchten aus den Wellen auf. Haar trieb wie Schilf auf dem Wasser, und
als Clara ihn für einen Augenblick losließ, um sich selbst die Hände auf die
schmerzenden Ohren zu pressen, spürte Jacob, dass seine Finger nach den
schützenden Pfropfen griffen und sie über Bord warfen.
    Die
singenden Stimmen schnitten ihm wie honigtriefende Messer ins Hirn. Clara
versuchte erneut, ihn festzuhalten, als er auf den Fährenrand zutaumelte, aber
Jacob stieß sie so unsanft zurück, dass sie gegen den Fährmann stolperte.
    Wo waren
sie? Er beugte sich über das Wasser. Zuerst sah er nur sein eigenes
Spiegelbild, doch plötzlich verschmolz es mit einem Gesicht. Es glich dem einer
Frau, aber es war nasenlos, mit Augen aus Silber und Fangzähnen, die sich über
die blassgrünen Lippen schoben. Arme streckten sich aus dem Fluss und Finger
krallten sich um Jacobs Handgelenk. Eine andere Hand griff ihm ins Haar. Wasser
schwappte über den Fährenrand. Sie waren überall, streckten die Arme nach ihm
aus, die fischigen Leiber halb aus dem

Weitere Kostenlose Bücher