Funke, Cornelia
Schnauze ins
Gesicht stieß. Dazwischen war nichts, nur eine Ahnung von Schmerz und
Dunkelheit. Und sein Bruder war fort.
»Wenn du aufwachst, ist alles vorbei. Ich verspreche es.«
Wie, Jacob? Selbst wenn der Zwerg ihn nicht wieder verriet und
er die Dunkle Fee in der Festung fand. Wie sollte er ihr nah genug kommen, um
sie zu berühren oder gar auszusprechen, was ihre Schwester ihm verraten hatte,
bevor sie ihn tötete?
Denk nicht, Jacob. Tu es einfach.
Er brannte
vor Ungeduld, als hätte der Tod seine alte Unrast nur schlimmer gemacht. Er
wollte den Zwerg wachrütteln, weiterreiten.
Weiter, Jacob. Immer weiter. So, wie du es seit Jahren tust. Der Wind
fuhr in das Feuer und er knöpfte sich den Mantel über dem blutigen Hemd zu.
»Jacob?«
Clara
stand hinter ihm. Sie hatte sich eine der Pferdedecken um die Schultern gelegt,
und es fiel ihm auf, dass ihr Haar länger geworden war.
»Wie geht
es dir?« Aus ihrer Stimme klang immer noch das ungläubige Staunen darüber, dass
er am Leben war.
»Gut«, gab
er zurück. »Willst du meinen Puls fühlen, um dich zu überzeugen?«
Sie musste
lächeln, aber die Sorge in ihrem Blick blieb.
Über ihnen
schrie eine Eule. In der Spiegelwelt hielt man sie für die Seelen toter Hexen.
Clara kniete sich neben ihn auf die kalte Erde und hielt die Hände über die
wärmenden Flammen.
»Glaubst
du immer noch, dass du Will helfen kannst?«
Sie sah
furchtbar müde aus.
»Ja«,
sagte er. »Aber glaub mir, mehr willst du nicht wissen. Es würde dir nur Angst
machen.«
Sie
blickte ihn an. Ihre Augen waren so blau wie die seines Bruders. Bevor sie im
Gold ertrunken waren.
»Hast du
Will deshalb nicht gesagt, wozu er die Rose pflücken sollte?« Der Wind wehte
ihr ein paar Funken ins Haar. »Ich glaube, dein Bruder weiß mehr über Angst als
du.«
Worte.
Nichts weiter. Aber sie machten dunkles Glas aus der Nacht und Jacob sah sein
eigenes Gesicht darin.
»Ich weiß,
warum du hier bist.« Clara sprach mit so abwesender Stimme, als spräche sie
nicht über ihn, sondern über sich selbst. »Diese Welt macht dir nicht halb so
viel Angst wie die andere. Du hast hier nichts und niemanden zu verlieren,
außer Fuchs, und die macht sich mehr Sorgen um dich als du um sie. Alles, was
wirklich Angst macht, hast du hinter dem Spiegel gelassen. Aber dann ist Will
hergekommen und hat alles mitgebracht.«
Sie
richtete sich wieder auf und wischte sich die Erde von den Knien.
»Was immer
du vorhast, bitte pass auf dich auf. Du machst nichts wieder gut, indem du dich
für Will umbringen lässt. Aber falls es einen anderen Weg gibt, irgendeinen
Weg, ihn wieder zu dem zu machen, der er war, lass mich dabei helfen! Auch wenn
du denkst, dass es mir Angst machen wird. Du bist nicht der Einzige, der ihn
nicht verlieren will. Und wozu sonst bin ich noch hier?«
Clara ließ
ihn allein, bevor er ihr antworten konnte. Und Jacob wünschte sie weit fort.
Und war froh, dass sie da war. Und sah sein Gesicht in dem dunklen Glas der
Nacht. Unverzerrt. Wie sie es gemalt hatte.
32
DER FLUSS
Sie brauchten noch vier Tage, um das Gebirge zu erreichen, das die Goyl
ihre Heimat nannten. Frostige Tage und kalte Nächte. Zu viel Regen und feuchte
Kleider. Eines der Pferde verlor ein Eisen, und der Schmied, zu dem sie es
brachten, erzählte Clara von einem Blaubart, der im nächsten Ort drei Mädchen,
kaum älter als sie, von ihren Vätern gekauft und in seinem Schloss getötet
hatte. Clara lauschte ihm mit ausdruckslosem Gesicht, aber Jacob las ihr von
der Stirn, dass sie ihre eigene Geschichte inzwischen für fast ebenso finster
hielt.
»Was macht sie noch hier?«, fragte Valiant ihn irgend wann mit
gesenkter Stimme, als Clara am Morgen vor Müdigkeit kaum auf ihr Pferd kam.
»Was treibt ihr Menschen nur mit euren Frauen? Sie gehört in ein Haus. Schöne
Kleider, Diener, Kuchen, ein weiches Bett, das ist es, was sie braucht.«
»Und einen
Zwerg zum Ehemann und ein goldenes Schloss vor der Tür, zu dem du den Schlüssel
hast«, gab Jacob zurück.
»Warum
nicht?«, erwiderte Valiant - und schenkte Clara sein umwerfendstes Lächeln.
Die Nächte
waren so kalt, dass sie in Gasthöfen übernachteten. Clara teilte sich das Bett
mit Fuchs, während Jacob neben dem schnarchenden Zwerg lag, aber er schlief
nicht nur deshalb unruhig. In seinen Träumen erstickten ihn rote Motten, und
wenn er schweißgebadet aus dem Schlaf fuhr, schmeckte er das eigene Blut im
Mund.
Am Abend
des vierten Tages sahen sie
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