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Funke, Cornelia

Funke, Cornelia

Titel: Funke, Cornelia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rekkless
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Name täuschte. Sie fraßen sich auch an Goyl- und Zwergenfleisch
satt. Zwischen den Knochen lagen die Dinge, die die Opfer sichtbar machten:
eine Taschenuhr, der zerfetzte Ärmel eines Kleides, ein Kinderschuh -
bestürzend klein -, ein Notizbuch mit getrocknetem Blut auf den Seiten. Für
einen Moment wollte Jacob umdrehen, um Clara zu warnen, doch der Zwerg zog ihn
weiter.
    »Keine
Sorge«, zischte Valiant ihm zu. »Die Goyl haben alle Menschenfresser in dieser
Gegend längst erschlagen. Aber den Tunnel haben sie zum Glück nicht gefunden.«
    Der Spalt
in der Höhlenwand, durch den er verschwand, war für einen Zwerg mehr als weit
genug, aber Jacob musste sich hindurchzwängen. Der Tunnel dahinter war so
niedrig, dass er auf den ersten Metern kaum aufrecht gehen konnte, und führte
schon bald tückisch steil in die Tiefe. Jacob fiel in dem engen Gang das Atmen
schwer, und er war sehr erleichtert, als sie endlich auf eine der unterirdischen
Straßen stießen, die die Festungen der Goyl miteinander verbanden. Sie war
breit wie eine Menschenstraße und mit phosphoreszierenden Steinen gepflastert,
die im Schein der Taschenlampe ein mattes Licht abgaben. Jacob glaubte, in der
Ferne Maschinen zu hören und ein Summen wie von Wespen über einer Wiese voll
Fallobst.
    »Was ist
das?«, fragte er den Zwerg mit gesenkter Stimme.
    »Insekten,
die die Abwässer der Goyl klären. Ihre Städte riechen wesentlich besser als
unsere.« Valiant zog einen Stift aus der Jacke. »Bück dich! Zeit für dein
Sklavenzeichen! P für Prussan«, raunte er, während er Jacob den Goyl-Buchstaben
auf die Stirn malte. »Das ist der Name deines Besitzers, falls man dich fragt.
Prussan ist ein Händler, mit dem ich Geschäfte mache. Allerdings sind seine
Sklaven wesentlich sauberer als du und tragen ganz bestimmt keinen
Waffengürtel. Du solltest ihn besser mir geben.«
    »Nein
danke«, raunte Jacob und knöpfte den Mantel über dem Gürtel zu. »Falls sie mich
anhalten, will ich mich bestimmt nicht auf dich verlassen müssen.«
    Die
nächste Straße, auf die sie stießen, war so breit wie die Alleen der
kaiserlichen Hauptstadt, aber diese wurde nicht von Bäumen, sondern von
Felswänden gesäumt, und als Valiant den Strahl der Taschenlampe an ihnen
entlangwandern ließ, schälten sich Gesichter aus der Dunkelheit. Jacob hatte
es immer für ein Märchen gehalten, dass die Goyl ihre Helden ehrten, indem sie
die Mauern ihrer Festungen aus ihren Köpfen bauten. Aber offenbar hatte die
Geschichte, wie alle Märchen, einen dunklen und sehr wahren Kern. Hunderte von
Toten starrten auf sie herab. Tausende. Kopf an Kopf, wie groteske Steine. Die
Gesichter blieben, wie bei allen Goyl, im Tod unverändert, nur die erloschenen
Augen waren durch Goldtopas ersetzt worden.
    Valiant
blieb nicht lange auf der Allee der Toten. Stattdessen nahm er Tunnel, die sich
schmal wie Bergstraßen abwärtswanden, tiefer und tiefer unter die Erde. Jacob
sah immer öfter Licht am Ende eines Seitentunnels oder spürte den Lärm von Motoren
wie ein Vibrieren auf der Haut. Ein paarmal hallte ihnen das Geräusch von
Hufschlag oder Wagenrädern entgegen, aber zum Glück taten sich entlang der
Straßen immer wieder lichtlose Höhlen auf, wo sie sich in einem Dickicht von
Stalagmiten oder hinter Vorhängen aus Tropfstein verstecken konnten.
    Das
Tropfen des Wassers war überall zu hören, stetig und unentrinnbar, und um sie
herum verbargen sich die Wunder, die es in Jahrtausenden geformt hatte, in der
Dunkelheit: kalkweiße Kaskaden aus Stein, die wie gefrorenes Wasser von den
Wänden schäumten, Wälder aus Sandsteinnadeln, die über ihnen von den Decken
hingen, und Blumen aus Kristall, die in der Finsternis blühten. In vielen
Höhlen war kaum eine Spur von den Goyl zu entdecken, außer einem geraden Pfad,
der durch das Steindickicht führte, oder ein paar Tunneln, die sich quadratisch
in einer Felswand öffneten. Andere zeigten Steinfassaden und Mosaiken, die aus
älteren Zeiten zu stammen schienen - Ruinen zwischen den Säulen, die der Stein
hatte wachsen lassen.
    Es schien
Jacob, als wären sie schon Tage durch diese unterirdische Welt geirrt, als
sich vor ihnen eine Höhle öffnete, auf deren Grund ein See schimmerte. An den
Wänden wuchsen Pflanzen, die keine Sonne brauchten, und über das Wasser spannte
sich eine endlose Brücke, die kaum mehr als ein mit Eisen verstärkter Felsbogen
war. Jeder Schritt darauf hallte verräterisch laut durch die weite Höhle und
scheuchte

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