Funkensommer
Kopfweh?«
Raphael reagiert nicht. »Ach so ist das«, murmelt er bloß.
»Was meinst du?«
Aber Raphael sagt nichts und starrt auf die Tanzfläche. Schon spüre ich, wie sich die Laune meines Bruders verdunkelt. Ich will verduften, ehe er seinen Groll an mir auslassen kann, da taucht noch ein Blondschopf im Scheinwerferlicht auf. Und dieses Mal bin ich es, die versteinert. Denn es ist … Lena! Frisch zurück aus dem Urlaub. Mit einer Megabräune im Gesicht. Sie torkelt, als sie auf uns zukommt.
»Wie gut, dass ich dich hier treffe«, lallt sie mir entgegen. »Ich sag dir, ich war ja so blöd!«
Es dauert eine Sekunde, bis mein Hirn zu funktionieren beginnt. »Schon gut«, rufe ich schrill und versuche sie von meinem Bruder wegzulocken. Doch wie sehr ich auch an ihrer Hand zerre, Lena reagiert nicht. Munter plappert sie drauflos, während mir das Herz in die Hose rutscht und Jellys Worte in meinem Kopf wie näher kommende Gewitterwolken bedrohlich hallen: Du wirst das nicht ewig geheim halten können … nicht ewig geheim halten können … nicht ewig können …
»Das mit dem Bauerntrampel in der SMS tut mir echt leid!«, lallt Lena jetzt.
Meine Nerven sind kurz davor, in tausend Stücke zu zerspringen. »Ja, schon in Ordnung«, versuche ich sie zu beruhigen und zerre wie verrückt an ihr.
Aber Lena lässt sich nicht beruhigen. Und auch nicht wegzerren. »Weißt du, ihr beide passt so wunderbar zusammen«, sagt sie gedehnt. Und dann macht sie etwas, das sich wie ein Todesstoß anfühlt. Sie dreht sich um, grinst meinen Bruder breit an und lallt: »Findest du nicht auch?«
Ich bin tot, schießt es mir durch den Kopf.
Mein Bruder braucht eine Weile, bis er zu reagieren beginnt. »Wie?«, fragt er. Nur mühsam kann er seine Augen von der Tanzfläche abwenden.
Lena kichert. »Na, sie passen gut zusammen! Hannah und Finn. Findest du nicht auch?«
Zu spät. Ich bin wirklich tot.
»Hannah und Finn?«, wiederholt Raphael und in seinem ohnehin verdunkelten Gesicht türmen sich schwere Wolken auf.
»Hannah hat was mit Finn?«, fragt er nach langen, zähen Sekunden. »Und Jelly was mit Tobias?« Er deutet auf die Tanzfläche.
Lena quakt. »Ja! Toll, nicht? Ein Vierergespann, sozusagen. Anfangs war ich sauer! Wegen Finn. Doch dann habe ich Miguel im Urlaub kennengelernt und der Liebeskummer war wie weggeblasen.« Sie gluckst.
Verdattert dreht sich Raphael zu mir um. »Du hast was mit dem Sohn meines Chefs?«, fragt er bleiern.
»Es ist nicht so, wie du denkst …«, versuche ich noch zu erklären, doch es ist zu spät.
Das Unwetter in Raphaels Gesicht ist schon ausgebrochen. Ich sehe es an dem Hass in seinen Augen.
»Wie konntest du nur?!«, bricht es aus ihm heraus. »Weißt du, wie beschissen das für mich ist? Wenn die kleine Schwester mit dem Sohn des Chefs rummacht? Was willst du denn noch? Hast du überhaupt eine Ahnung, was das für mich bedeutet? Du bist meine Schwester! MEINE SCHWESTER! Da macht man so etwas nicht!« Er holt Luft. »Aber weißt du was – du bist nicht mehr meine Schwester. Schon lange nicht mehr!«
Raphaels Worte, sie zucken wie Blitze. Deutlich spüre ich, wie sie einschlagen. Mein Innerstes versengen. Verbrennen. Doch ich lasse es über mich ergehen. Auch, als er sich von mir abwendet und in der tanzenden Menschenmenge verschwindet. Im brodelnden Gulaschtopf. Gefolgt von der torkelnden Lena. Und mich zurücklässt. Verbrannt. Und als wäre dies nicht schon genug, bricht mit einem Mal eine donnernde Lawine über mich herein: Mein Bruder weiß Bescheid, mein Bruder weiß Bescheid, hallt es in meinem Kopf. Und nichts wird morgen noch so sein, wie es heute war. Nichts.
Keine Ahnung, wie lange ich dort in der Ecke stehe. Festgewachsen. Aber irgendwann taucht Jelly neben mir auf und fragt: »War das eben Goldlöckchen?«
»Sie hat ausgepackt!«
»Wer? Goldlöckchen?« Jelly sieht mich verdutzt an.
Mühsam schlucke ich eine Träne hinunter und versuche zu antworten, aber irgendwie kommt kein Ton heraus.
Da zieht meine Freundin ihre linke Augenbraue hoch und ruft: »Du meinst, dein Bruder weiß endlich Bescheid?«
»Ja«, presse ich heraus.
Jelly gurrt zufrieden: »Gut! Dann weiß er ja, wie er dran ist!«
»Wie bitte?!« Ich starre meine Freundin an.
Doch die zuckt bloß mit den Schultern. »Glaub mir. Es ist besser so. Du hättest Finn nicht ewig verleugnen können. Ansonsten wäre eure Liebe daran zerbrochen. Und das hätte dann wirklich wehgetan. Garantiert!«
»Aber
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