Funkensommer
Gefühlswelt beeinflussen. Denn Tobias wurde total hemmungslos, als er die Tablette geschluckt hatte. Und seine Augen wurden genauso trüb wie die von Raphael gestern …«
»Aber Raphael wurde doch nicht hemmungslos, oder?«, wende ich ein.
»Na ja, schon irgendwie. Nur eben auf eine andere Art und Weise«, murmelt sie. »Weißt du, er ist gestern ziemlich ausgerastet …«
»Ich weiß nicht. Raphael würde niemals Drogen nehmen. Schon deshalb nicht, weil er die vielen anderen Tabletten wegen der Epilepsie schlucken muss.«
»Und was war dann mit seinen Augen los?«, hakt Jelly nach.
»Das kann auch etwas anderes bedeuten«, murmle ich.
Jelly seufzt. »Sicher, aber kannst du dich erinnern – an den Typen an der Bar? Der bei Raphael stand?«
Müde lehne ich den Kopf gegen die Hausmauer. »Ja und?«
»Na, Raphael hat ihm doch Geld gegeben!«
Langsam fange ich an unruhig zu werden. »Das ist doch lange kein Beweis«, sage ich zögernd. Oder doch? Und weil mir der Gedanke keine Ruhe lässt, hake ich nach: »Und das Zeugs gibt es in Tablettenform?«
»Ja, das sind so grünliche Dinger. Mit einem T draufgestanzt. Für Treyes. So nennt sich die Droge.«
Ich ziehe scharf die Luft ein. »Grünlich, sagst du?«
Jellys linke Augenbraue wandert Richtung Haaransatz. »Ja«, antwortet sie. »Warum? Kommt dir das bekannt vor?«
Ein eiskalter Schauer jagt mir über den Rücken, als mir klar wird, warum. Weil ich die Dinger tatsächlich schon gesehen habe. Sie lagen zusammen mit den Epi-Blockern und einer angefangenen Tequilaflasche auf Raphaels Schreibtisch.
»Du hast recht!«, stöhne ich und mir wird flau im Magen. Tausend Gedankenbilder jagen nun an mir vorüber. Fetzen der Erinnerung: Raphaels Wut. Raphaels Augen. Raphaels Veränderung. Seine Ausbrüche. Sein unberechenbares Verhalten, das kommt und geht. Seine kalten Augen. Auch die kommen nicht von ungefähr. Auf einmal ergibt alles einen Sinn. »Er rastet aus, weil er dieses Treyes schluckt?«
Meine Freundin nickt.
»Und nicht wegen mir?«
Jelly fängt schon wieder zu schluchzen an. »Es tut mir so leid, Hannah«, murmelt sie. »Ich hab dir nie geglaubt. Wenn ich gewusst hätte, dass Raphael wirklich so drauf ist …«
»Du kannst doch nichts dafür«, antworte ich und drücke meiner Freundin ein Taschentuch in die Hand.
Dankend greift sie danach. Als sie sich damit ihre Tränen getrocknet hat, sieht sie mich kummervoll an. »Doch. Ich glaube schon. Ich kann schon etwas dafür. Ein bisschen zumindest«, flüstert sie.
»Was meinst du denn jetzt schon wieder!«
Meine Freundin lässt die Schultern sinken. »Ich hätte es dir schon viel früher sagen sollen. Aber ich wusste nicht wie … ich war so verletzt«, schluchzt sie. »Dabei fing alles so schön an. Wir haben uns schon immer gut verstanden. Alles war vertraut. Wir kannten uns doch schon ewig. Weißt du – es fühlte sich richtig an!« Mit tränenverhangenen Augen sieht sie mich an. »Und dann ließ er mich links liegen. Plötzlich. Auf einmal. Einfach so. Ich wollte mit ihm reden, ihn fragen, was los ist. Doch dann kam der Anfall und danach verkroch er sich, dabei wollte ich nur bei ihm sein. Sonst nichts.«
Ich sehe Jelly mit großen Augen an. »Wovon redest du?« Meine Freundin plappert einfach weiter. »Ja, ehrlich! Aber er ging mir bei jeder Gelegenheit aus dem Weg. Ich kam nicht an ihn heran. Weil er es nicht zuließ. Und dann hast du auf einmal Finn kennengelernt. Und da war Tobias. Und anfangs glaubte ich, dass ich Tobias lieben könnte. Aber das ging nicht. Weil Raphael immer noch in meinem Kopf war. Noch immer ist.« Sie hält inne. »Und dann – an dem Nachmittag, als wir dein Zimmer gestrichen haben. Weißt du noch?« Ich nicke bleiern.
»Da haben wir geredet. Während du die Schweine gefüttert hast. Ganz lange. Und ich habe ihm gesagt, dass mir das völlig egal ist, wegen dem Anfall. Und dass er sich dafür nicht zu schämen braucht. Ich liebe ihn trotzdem. Es war so schön – wie früher. Ich dachte, alles würde jetzt wieder gut werden. Doch danach meldete er sich wieder nicht. Und das tat wieder weh. Fürchterlich weh. Also habe ich geglaubt, ich könnte ihn ein bisschen eifersüchtig machen. Ein bisschen nachhelfen. Mit Tobias. Auf der Tanzfläche …«
»Willst du mir etwa sagen, dass du und Raphael …?« Jellys Gesicht fängt zu strahlen an. »Ja. Verrückt, nicht?«
Meine Wangen werden kalt. »Dann ist es auch mein Bruder gewesen, mit dem du geschlafen hast?«
Sie nickt
Weitere Kostenlose Bücher