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Funkstille

Funkstille

Titel: Funkstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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sich »mies«. Die Ängste und Vorwürfe der Mutter diffundierten gewissermaßen in Majas Bewusstsein. »Ich war traurig, wenn sie traurig war; depressiv, wenn sie depressiv war; hysterisch und streitsüchtig, wenn sie es war«, erzählt Maja. Sie musste eine Grenze ziehen, um nicht zu zerfließen. Der symbiotisch mit seiner Mutter verbundene Jan war emotional und finanziell völlig abhängig und nicht in der Lage, ihr zu sagen: »Ich verlasse dich jetzt, weil ich in deiner Gegenwart keine Luft mehr bekomme.«
    Rico, der 18-jährige Sohn von Marina M., der nach einem Unfall körperlich schwerbehindert ist, hat seiner Mutter gut vier Jahre nach dem Kontaktabbruch einen Brief geschrieben. In erster Linie bittet er sie darin um Geld. Doch ganz am Schluss des Briefes schreibt er: »Ich möchte gerne für mich sein und zu mir selbst finden. Versteh’ das bitte nicht falsch. Ich bin dir nicht böse, aber ich befinde mich in einer Krise und weiß keine andere Lösung.« Es scheint, als suche er Klärung, Orientierung. »Offenbar weiß er sich nicht anders zu helfen«, meint seine Mutter, und in ihrer Stimme schwingt mehr als Verständnis mit. Sie ist genügsam geworden, dankbar für jedes Zeichen von ihrem verlorenen Sohn.
    Ist derjenige, der sich ins Schweigen zurückzieht, stark oder eher schwach? Das ist eine Frage, die auch die Verlassenen immer wieder stellen. Der Abbrecher ist wohl aus der Schwäche heraus stark. Er war vor dem Kontaktabbruch der Schwächere, und die Funkstille hilft ihm, sich zumindest zeitweilig stärker zu fühlen. Schließlich gehört eine enorme Konsequenz dazu, mit seinem alten Leben zu brechen. Hans Wedler sieht es ähnlich: »Nicht kommunizieren zu können ist schon eine Schwäche, aber da ist auch die Stärke, sich auf sich selber besinnen zu können und zu gehen.« Ist die Funkstille also eine Form der Selbsterprobung? Marianne Wedler führt den Gedanken ihres Mannes weiter: »Klar, wenn ich immer das Gefühl habe, ich bin bloß ein Anhängsel, dann möchte ich mich ganz allein aus dem bisherigen Leben stehlen und sehen, ob ich es schaffe. Der Abbrecher ist wie ein Wandersbursche, der loszieht und sich alleine durchschlägt. Er ist ganz auf sich selbst gestellt. Vielleicht haben manche der Abbrecher das auch in der Pubertät versäumt und gingen von einer Abhängigkeit in die nächste. Es kann also auch ein Reifungsprozess für die Persönlichkeitsentwicklung sein.«
    Für Professor Udo Rauchfleisch ist die Funkstille hingegen in erster Linie ein Zeichen von Schwäche: Der Abbrecher glaubt, dass alles noch schlimmer wird, wenn er sich erklärt. »Jemand fühlt sich nicht in der Lage, eine Beziehung ganz regulär zu beenden auf die Gefahr hin, dass die andere Person sich verletzt fühlt, wütend wird und gekränkt ist. Offen zu sagen: So geht es nicht mehr, schafft der Abbrecher nicht. Die Funkstille ist also in erster Linie eine Kommunikationsstörung und ein Zeichen von Schwäche. Die Person, die verlässt, fühlt sich nicht in der Lage, den Konflikt vernünftig abzuschließen.«
    Der Diplompsychologe und Verleger des Psychosozial-Verlags Hans-Jürgen Wirth ergreift Partei für die Abbrecher: »Das ist deren einzige Möglichkeit, sich zu trennen. Diese Menschen haben massive Trennungsschwierigkeiten! Vielleicht sind sie einfach zu verklitscht. Manche denken vielleicht, ich bin sowieso nicht so konfliktfähig, kann nicht so gut reden und werde schnell untergebuttert, also ist das Abbrechen die einzige Möglichkeit. Das ist mein Mittel. Hilflosigkeit, ja, aber auch eine Möglichkeit, die man nicht pathologisieren muss oder moralisch verurteilen sollte. Vielleicht hat der betreffende Mensch Konfliktfähigkeit auch nicht in der Familie gelernt. Vielleicht durfte man sich in der Familie nicht streiten!«
    »Ich will nur noch weg!« Die Funkstille als letzter Ausweg
    »Ich bin aus dem Gefängnis geflüchtet, in dem ich 18 Jahre lang saß«, schallt es mir ins Ohr, in einem Ton, der schneidender nicht hätte sein können. Michael, Lisa-Maria W.s Sohn, versteht den Kontaktabbruch als Befreiung. Bei unseren wenigen Gesprächen kommt er immer wieder auf diesen Punkt zurück. Mein Eindruck ist, dass er gefangen ist in dieser Interpretation der Ereignisse, in seinem Gefühl der Ablehnung. Ist er möglicherweise von einem Gefängnis in ein anderes geflohen? Unklar bleibt angesichts seiner Schilderung des Verhältnisses zur Mutter, warum er den Kontakt erst mit 33 Jahren abgebrochen hat und nicht schon

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