Funkstille
nicht anders hinzukriegen.« Jan bestätigt diesen Eindruck, wenn er die Verzweiflung schildert, die der Funkstille vorausging: »Entweder ich bringe mich um, oder ich breche den Kontakt zu meiner Mutter ab. Es gab für mich nur diese beiden Möglichkeiten.« Die Verzweiflung entsprang seiner ohnmächtigen Wut auf die Mutter. Jan fühlte sich schwach, gedemütigt. »Ich habe angefangen, sie zu hassen. Ich habe sie dafür bestraft, dass sie mich so fertiggemacht, mein Leben kaputtgemacht hat.« Ähnlich wie Michael möchte auch er durch den Kontaktabbruch einen Rollentausch herbeiführen: Das Gefühl der Ohnmacht soll von ihm auf die Mutter übergehen.
Wodurch habe ich das Leben meines Sohnes zerstört? Das hat Isabella M. sich unzählige Male gefragt. Hat sie ihn denn nicht geliebt, ernährt und umsorgt, ganz im Gegensatz zum Vater, der sich aus allem heraushielt, ja nach der Trennung nicht einmal Unterhalt zahlte? »Was habe ich falsch gemacht?«, will die Mutter wissen. Von mir daraufhin befragt, weiß Jan nicht recht zu antworten. »Wir haben vor der Funkstille gestritten. Ich habe sie beschimpft, wir haben natürlich umeinander gekämpft. Sie hat sich mit Händen und Füßen gewehrt, was unseren Konflikt nur angefeuert hat. Ich habe sie beschimpft, sie beleidigt und rausgeschmissen.« Rausgeschmissen aus seinem Leben.
»Wenn ich den Kontakt abbreche, ist das mein verzweifelter Versuch, mich aus einer nicht lösbaren Situation zu befreien. Jedenfalls scheint im Moment des Bruchs der Konflikt unlösbar«, hat Maja mir einmal gesagt. Ist diese unspektakuläre Erklärung auch auf Jan übertragbar? Seine Mutter interpretiert die Funkstille in erster Linie als Kräftemessen. Kurz vor dem Kontaktabbruch trafen sie und Jan sich in einem Café. Nicht zu einem wirklichen Gespräch allerdings. Jan informierte seine Mutter damals lediglich darüber, dass er heiraten werde, sie aber nicht eingeladen sei. »Er wollte wirklich nichts mehr mit mir zu tun haben«, erinnert sich Isabella M. »Es sollte eine Strafe sein, eine endgültige Abnabelung, aber natürlich war es vor allem eine Machtdemonstration.«
»Du bist für mich gestorben« Die Funkstille als Machtmittel
Jan und seine Mutter waren schon vor dem Eintreten der Funkstille in einer Sackgasse gelandet. Wenn beide miteinander stritten, begegneten sie sich nicht mehr. Der Streit war kein Dialog. »Sie konnte einfach nicht einlenken, auch nicht um Verzeihung bitten«, insistiert Jan. Hier wird deutlich: Es geht auch ums Bestimmen-Wollen. Die Mutter soll tun, was der Sohn will. Als sie das nicht tat, brach er den Kontakt ab.
Wortloses Sich-Zurückziehen als Manipulationsversuch – das ist eine Strategie, die man vor allem aus Paarbeziehungen kennt. Auch Jan versuchte, seine Mutter zu manipulieren. Ja, bei ihnen beiden sei es tatsächlich ein bisschen wie bei einem Liebespaar gewesen, gibt Jan zu. Zu Beginn der Funkstille floh Jan für ein Jahr nach Frankreich. Er erzählte niemandem, wohin er gehen würde, was er vorhatte, nur seine Freundin wusste, wo er war. Für seine Mutter war er verschollen.
Sie litt an diesem uneindeutigen Verlust. Es war zermürbend. Er ließ zu viele unbeantwortete Fragen zurück. Isabella M. konnte das Nichtwissen kaum aushalten. Nachts wachte sie auf, weil sie glaubte, das Telefon klingele und ihr Sohn sei dran. Doch Jan ließ seine Mutter absichtlich ohne Nachricht, wissend um den Schmerz, den ihr die Unklarheit bereiten würde. Er hatte das Band zwischen ihnen zerschnitten, damit sie litt, sich Sorgen und Vorwürfe machte. Natürlich sei das auch der Versuch gewesen, wieder Kontrolle über sich zu erlangen, sagt Jan heute. Seine Wut verlieh ihm offenbar Kraft. »Natürlich, ich habe manchen Schlag unter die Gürtellinie ausgeteilt«, räumt Jan im Rückblick ein. »Aber ich habe mir eben meine Eltern nicht ausgesucht.« Immerhin kommt hier auch sein Vater ins Spiel, der für Jan als Rollenvorbild komplett ausfiel. Er hatte keine männlichen Bezugspersonen mit Ausnahme der »Lover« seiner Mutter, betont Jan immer wieder. Und das sei einzig ihre Schuld, findet er. Sie hätte sich nicht von seinem Vater trennen dürfen oder zumindest für einen dauerhaften Ersatz sorgen müssen. In Jans Augen scheint die Mutter alles falsch gemacht zu haben. Und immer, wenn ich ihn beim Zuhören zweifelnd anschaue, legt er nach: »Für mich war sie lange Zeit eine Schlampe.« Hier spricht der eifersüchtige Sohn. Musste er sich ein Bild von seiner Mutter
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