funny girl
hinstellte, das war es, was sie jetzt brauchte. Deniz musste ihr einen Auftritt organisieren, und zwar schnell.
Arthur. Der hatte ein kleines Engagement gefunden, freitagabends in einem Kellerlokal in der City, wo seine Witze sich gegen Geplauder und Bierseligkeit von vielleicht hundert Leuten anstemmen mussten, von denen keiner dafür bezahlt hatte, dass Arthur von einem kleinen Podium gleich neben dem Dart-Brett etwas ins Mikrophon erzählte. Statt Darts flogen nun abfällige Bemerkungen. Johlen, Pfiffe. In einem T-Shirt, das seine tätowierten Hände und Arme zur Geltung brachte, blaue Ranken, die aus dem Halsausschnitt wuchsen, als wollten sie nach seinem Gesicht greifen (einem Gesicht, mit Piercings übersät, Ringe und Knöpfe in Nase, Ohren, Wange, Kinngrübchen, Unterlippe, der linken Augenbraue), stand er auf einer kleinen Bühne vor einem roten Samtvorhang und versuchte verzweifelt, sein Publikum zu unterhalten.
ARTHUR :Im Gefängnis ist nicht viel los. Darum gehen alle tagsüber in die Muckibude, Bankdrücken und so. Da herrscht Riesenkonkurrenz. Mein Zellennachbar hat immer geprahlt: »Ich drücke dreihundertzwanzig, und was schaffst du?« Ich hab geantwortet: »Na ja, Lesen und Schreiben.«
(Vereinzelte Lacher.)
Ich hab versucht, Gewicht zuzulegen, auch wenn’s im Gefängnis darauf nicht ankommt. Doch je mehr ich trainierte, desto dünner wurde ich. Alle in meiner Familie sind dünn. Eine Frage der Gene. Da kann man nix machen. Wenn wir uns umarmen, klingt’s wie Messer und Gabel in einer Besteckschublade. Richtig gefährlich, Mann. In meiner Familie läufst du bei jeder Umarmung ins offene Messer.
Machen viele von euch Gewichtheben? Ja? Nicht so viele? Wisst ihr, was ich absolut nicht abkann? Im Studio hab ich einen Trainer, und wenn ich meine Übungen mache, fängt er mit dem Countdown immer bei vier an. (Er tut so, als würde er Gewicht heben.) …4 …3 …2 …2 …2 …2. – (Er tut ganz erschöpft und stöhnt.) …2… Gütiger Gott! Zwei? Was hat er bloß mit dieser verdammten Zwei? Zweizweizwei? Diese Scheißgewichte sind scheißschwer!, sag ich euch. Also dafür könnt’ ich ihn echt umbringen! Zwei, zwei, ungefähr sechzehn Mal. Warum fängt er denn dann nicht bei zweiunddreißig an zu zählen? Im Rechnen ist er Legastheniker, aber er ist durchtrainiert, und nur das zählt.
Azime, die hinten im Flur bei den Toiletten auf ihren eigenen Auftritt wartete, hörte zu; sie fand, das hätte doch für einen Lacher gut sein müssen, aber nur ein Bruchteil derer, die überhaupt zugehört hatten, reagierte darauf. Ein schweres Publikum. ›Genau was ich jetzt brauche‹, sagte sie sich.
Arthur kam durch die Pendeltür in den Flur und stieß mit Azime zusammen, die dort im Halbdunkel in ihrer schwarzen Burka bereitstand, um als Nächste auf die Bühne zu gehen. Er warnte sie, es sei ein zähes Publikum, sagte noch, er werde jetzt nach vorn gehen, sie ankündigen und dann mit Deniz zusammen aufpassen, dass ihr niemand Ärger machte. Jetzt, wo er kein Komiker mehr war, sondern wieder Bodyguard, lächelte er sein breites, silberblitzendes Lächeln.
Wieder allein, lauschte sie der Menge, die schnatterte wie ein Vogelschwarm, Leute, die selbst versuchten, lustig zu sein, einfach redeten, wie es Menschen nun mal tun, und brav über jeden Witz lachten, den ihre Freunde erzählten, egal ob er witzig war oder nicht. Letzlich ging es um etwas ganz anderes, denn alle hungerten nach Nähe, nach einer Nähe, die daraus erwuchs, dass man über dieselben Witze lachte.
Im Geist ging sie ihr Material noch einmal durch und versuchte sich an die Dinge zu erinnern, die Kirsten ihr beigebracht hatte. Doch das Publikum war zu laut, sie konnte sich nicht konzentrieren. Worüber unterhielten die sich alle nur so aufgeregt? Woraus bestand deren Material? Redeten sie über ihren Job, ihre Frau, ihren Mann, Wagen, Kind, Chef, Sexleben, Gesundheit, Zukunftspläne, Siege und Niederlagen? Sie hörte diesen Fremden zu, die sich alle vor dem Hintergrund des gewaltigen Lärms verständlich zu machen versuchten, alle ein Publikum brauchten, und sei es auch in noch so kleinem Rahmen. Auch Azime, doppelt verborgen hinter der Pendeltür und dem Stoff ihres Gewandes, wollte ein Publikum. ›Ein guter Witz verwandelt uns aus dem Stand in eine Familie‹, ermahnte sie sich. Und: ›Ihr bringt den Menschen Hoffnung, ihr umarmt Fremde, ihr vertreibt die Einsamkeit. Ihr seid Ärzte .‹ Sie hörte, wie Arthur sie ankündigte. Er
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