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funny girl

funny girl

Titel: funny girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony McCarten
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Laufschritt die Treppe hinunterstürmten, wie unerträglich, dass dieser Mann seiner eigenen Seele weismachen konnte, er sei durch die Zerstörung seiner Tochter, für die er selbst verantwortlich war, ein besserer Mensch geworden. Tiefer und tiefer ging es treppab, schneller und schneller, bis sie schließlich ganz schwindlig auf den windigen Vorplatz torkelte – Übelkeit stieg in ihr hoch, von ganz unten, von so tief unten, dass sie nur aus ihrem Innersten kommen konnte. Azime stand in dieser Festung, auf vier Seiten umgeben von Backstein und Glas, auf dem Hof, wo die gefangene Luft sich in Wirbeln drehte, rang nach Atem und konnte sich nur eine einzige Frage stellen, immer und immer wieder neu: Sollte sie diesem wahnwitzigen Mann dort oben im achten Stock glauben – diesem gequälten Geschöpf, das sich an seine Version dieser entsetzlichen Geschichte klammerte? Hatte sich das Mädchen tatsächlich selbst umgebracht? Spielte es eine Rolle, dass er selbst glaubte, was er erzählt hatte? Oder war seine Geschichte schlimmer als die Lügen eines Mörders und am Ende nicht mehr als ein kranker Witz auf ihre Kosten?

14
    Sabite war ins Gespräch mit einer anderen kurdischen Mutter vertieft, und sie tauschten Fotografien – Porträts von Azime gegen die eines jungen Mannes –, und beide schienen zufrieden mit den Bildern des schon so gut wie vermählten Paars. Azimes zukünftige Schwiegermutter beschrieb ihren Sohn als klugen, arbeitsamen, frommen Jungen, Sabite versicherte wie immer, dass ihre Tochter ein braves Mädchen sei, in die Moschee gehe, nicht trinke, viele Bücher gelesen habe, und sie sei noch Jungfrau. Doch als sie gefragt wurde, was Azime arbeite, sagte sie zu ihrer eigenen Überraschung nicht, dass sie im Möbelgeschäft ihres Vaters angestellt sei.
    »Sie ist… Comedian. Sie wissen schon, eine von diesen… die aufstehen, Stand-up, nennt man das. Erzählt Witze. Sie ist sehr witzig. Und macht ganz groß Karriere. Tritt am Freitag im O2 auf. Sie kennen das O2 nicht? Da kommen Tausende hin. Tausende. Sie sollten auch kommen. Wir gehen alle. Die ganze Familie.«
    Als die andere Mutter Entsetzen darüber zeigte, dass ihr einziger Sohn einen Witzbold heiraten solle, stand Sabite zum allerersten Mal Azime zur Seite.
    »Dann können Sie sich die Hochzeit aus dem Kopf schlagen. Azime ist zu gut für Ihre Familie, und Ihr Sohn sieht nicht einmal gut aus. Er hat ja ein Gesicht, bei dem die Milch sauer wird.«
    Worauf die andere Mutter antwortete: »Und beim Anblick Ihrer Azime würden selbst Zwiebeln weinen.«
    Daraufhin trieb Sabite die andere Mutter mit schnickenden Handbewegungen aus ihrem Haus, als scheuche sie Hühner fort.
    Azime saß in ihrem Zimmer und arbeitete.
    Schon vorher war es eine Qual für sie gewesen, sich Material für ihre Auftritte auszudenken, doch jetzt musste sie sich an den irren Gedanken gewöhnen, dass ihre Witze Tausende zum Lachen bringen sollten. Als sie nicht weiterkam, sagte sie ihrer Mutter, sie gehe spazieren, und setzte sich in ein Café, ein wenig abseits, versuchte erneut zu arbeiten, ließ sich von den Leuten, die kamen und gingen, inspirieren. Die bunte Vielfalt ihres Viertels brachte neue Ideen in ihr hervor und weckte Erinnerungen, an Deniz, Banu, Döndü, auch an das tote Mädchen und ihren Vater Omo. Sie musste an etwas denken, was Kirsten ihr beigebracht hatte: »Das Publikum, für das du schreibst, besteht nur aus einer einzigen Person, dir selbst. Mach es persönlicher und damit unverwechselbar. Red über Dinge, über die du – und nur du – reden kannst, Sachen, über die sonst keiner etwas weiß, über die keiner außer dir glaubwürdig reden kann.«
    Sie flüsterte in ihr Diktiergerät, begann zu improvisieren, ehe sie ihre neuen Ideen (so knapp und mit so wenig Wörtern wie möglich) auf einer Papierserviette notierte, durchstrich, neu schrieb… wobei sie die meisten verwarf und nur die Überlebenden dieses Verfahrens ihrem Diktiergerät überantwortete. An einem bestimmten Punkt hatte sie eine grobe Vorstellung, was sie sagen wollte. Und auch wenn sie noch nicht wusste, ob ihre Witze tatsächlich funktionieren würden, hatte sie doch die eine oder andere Botschaft zu Dingen, mit denen sie sich auskannte und die sie an den Mann beziehungsweise ihr Publikum bringen wollte.
    Als Nächstes musste sie sehen, wie diese neuen Ideen wirkten. Sie am Publikum ausprobieren. Reaktionen abschätzen. Ein kleines Publikum, bevor sie sich vor Tausenden von Menschen

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