funny girl
nachdachte, welche Themen komisches Potential hatten, desto weniger witzig erschienen sie ihr. Nach Stunden vergeblicher Mühe musste sie einsehen, dass man entweder eine witzige Person war oder nicht. Sie war es offenbar nicht.
Sehr nervös ging sie vor dem Saal auf und ab, in dem die nächste Unterrichtsstunde von Mrs Kirsten Koles Hackney Comedy School stattfinden sollte, dieser Schule für witzige Menschen. Sie stellte sich vor, dass man sie, wenn sie ein zweites Mal hineinging, sofort als langweilig und völlig unkomisch entlarven würde. Und doch fühlte sie sich von der Welt des Humors wie magisch angezogen, für die jetzt ebendieses heruntergekommene Gemeindezentrum stand, ein Ort, wo Menschen die Dinge offenbar anders sahen als jeder andere hier draußen – wo sie die Dinge durchschauten, ja durchdrangen. War sie überhaupt würdig, neben solchen Menschen zu sitzen? Wer war sie denn schon? Eine zwanzigjährige muslimische Kurdin, die ihr Leben lang gerne Witze erzählt hatte, aber noch nie auf einer Bühne vor Publikum gesprochen hatte. Sie konnte sich Witze gut merken, besonders die, die ihr gefielen, sie war eine wandelnde Bibliothek von Witzen, und sie konnte sie auch einigermaßen erzählen. Schon als Kind hatte sie in den traurigsten Momenten Witze erzählt – zur größten Besorgnis ihrer Eltern –, und bei ihren Freunden war sie von Anfang an der Hofnarr gewesen. Aber ein heimlicher Fan von Comedy und Comedians zu sein war beileibe nicht dasselbe, wie selbst auf einer Bühne zu stehen, vor allem, wenn man noch nie allein auf einer Bühne gestanden hatte – noch nicht einmal in der Theater- AG in der Schule, wo sie allenfalls kleine Rollen als Mitglied des Chors oder einer Menschenmenge übernehmen durfte, Hauptsache sie hielt sich im Hintergrund. Sie versuchte sich auszumalen, wie sie aussehen würde, allein und mit einem Mikrophon in der Hand, wie sie wildfremden Menschen in aller Offenheit brüllend komische Dinge über sich selbst und ihre Welt erzählte. Nein. Unmöglich. So jemand war sie nicht. Das konnte eine junge kurdische Muslimin nicht machen, das konnte sie, Azime, nicht machen. Bisher hatte sie nur mit ihren Freunden offen und witzig gesprochen. Sich vor wildfremde Leute hinstellen und provokante Dinge sagen? Nein, niemals. Warum ging sie nicht einfach nach Hause? Wieso stand sie immer noch vor dieser Tür und rang mit sich?
Lag es womöglich an Kirsten Kole? So eine begeisternde Person mit echtem Charisma – eine Lehrerin von der Sorte, wie man sie sich immer erträumt, aber nie bekommt. Man wollte einfach dabei sein, wenn jemand wie sie sprach. Azime hatte ihre Schulzeit unter Drohnen verbracht, die unerbittlich Fakten und Zahlen ausspuckten und gnadenlos ans Licht zerrten, was man nicht wusste, miesen Arschlöchern und Zicken, die einem letztlich doch nichts beibrachten. Und wie sehr sich Kirsten von sämtlichen Frauen in Azimes Familie unterschied, die zwar alle irgendwie wütend waren, dass sie von den Männern und von alten Traditionen gegängelt wurden, aber nicht den Mut aufbrachten, den Schritt ins Freie zu wagen. Diese Frauen waren allesamt überzeugt, dass man einfache Regeln brauchte, wenn man in einer komplexen Welt zurechtkommen wollte. Kirsten war anders. Bei Kirsten klangen einfache Dinge wunderbar kompliziert, wie etwa die Vorstellung, dass ein einfacher Witz gar keine einfache Sache war und in Wirklichkeit eine sehr wichtige Funktion hatte, weil er alle, die einen Witz begriffen, mit denen verband, die ihn je begriffen hatten. Oder diese andere Idee: »Ein Witz ist eine Herausforderung, für die die Welt noch nicht reif ist.« Oder: »Wenn jemand einen Witz hört und erraten kann, wie er ausgeht, dann ist es kein Witz.« Ja, Kirsten war cool und klug und inspirierend, und Azime wünschte sich nichts sehnlicher, als zu hören, was Kirsten sonst noch zu sagen hatte.
Und deshalb ging Azime, so unwürdig sie sich auch fühlen mochte und so unsicher sie sich über ihre Motive war, zurück zur Eingangstür und drückte sie auf. Und drinnen empfingen sie sofort Menschen, Gelächter, Verwicklungen.
»Das Thema kann ganz banal sein. Oft gilt: je banaler, desto besser. Die Kleinigkeiten, die wir so oft übersehen – ich will, dass ihr euch darauf konzentriert. Leuchtet die hintersten Ecken eurer Erfahrung aus. Und die besten Beobachtungen kommen aus eurer Einstellung, eurem Blickwinkel.« Von ihrem Platz auf der Bühne sah sie, wie Azime leise eintrat, nickte ihr zu,
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