funny girl
zu sagen: »Nein, danke, ich fühle mich wohl, so wie ich bin.« Azime wusste, für dieses Zugehörigkeitsgefühl gab es keinen Ersatz. Wenn man seinen Platz in der langen Traditionsreihe einnahm und sich so den Geboten einer alten Kultur beugte, dann bekam man das Gefühl, dass das Leben nicht aus vielen kleinen Schubladen bestand, sondern dass man ein vollständiger Mensch war, Bestandteil eines größeren, schöneren Ganzen. Und was war außerhalb dieser Geborgenheit? Nichts als Kälte.
In einem stillen Augenblick hatte Azime ihrer Mutter etwas mitzuteilen. »Morgen Abend habe ich ein Date.«
»Was ist ein Date?«
»Eine Verabredung. Mit einem unverheirateten Mann.«
»Was für ein unverheirateter Mann? Mann? Date? Wer ist dieser Mann?«
Sabite hörte das Wort »Mann« nie gern, es sei denn, es kam aus ihrem eigenen Munde. Sofort schrillten bei ihr die Alarmglocken. Der falsche Mann konnte alles verderben. Der richtige Mann würde sich vermutlich in die Herde einreihen, den Karren der Familie mitziehen, ihnen bei der Suche nach dem Gelobten Land zur Seite stehen.
»Wer ist es? Wer hat das arrangiert?«
»Es ist einer von den Kandidaten, die der Heiratsvermittler ausgesucht hat. Er will mich wiedersehen.«
»Er will dich wiedersehen? Wer ist es?«
»Er heißt Nasim. Ich habe ihn im November getroffen.«
Sabite ließ die Namen der November-Kandidaten vor ihrem inneren Auge Revue passieren, aber ein Nasim war nicht dabei. Doch das hielt sie nicht davon ab, ihre Tochter erleichtert in die Arme zu schließen. Was für ein großartiger Morgen für Sabite! Gott ist wirklich groß. Erst Döndü im Hidschab! Und jetzt Azime, so gut wie verheiratet! Bomben hin oder her, alles würde sich zum Besten wenden. Ihre Frömmigkeit machte sich endlich bezahlt.
Am nächsten Abend chauffierte Deniz Azime zu dem italienischen Restaurant, wo sie ihre zweite offizielle Verabredung mit »November-Nasim« haben sollte, wie Sabite ihn getauft hatte, einem sechsundvierzigjährigen Versicherungsvertreter mit einem Schilddrüsenleiden, das dafür sorgte, dass er dauerhaft um die hundert Kilo wog.
Deniz stoppte kurz vor dem Comedy-Club und fuhr die Viertelmeile bis zu dem Restaurant langsam im zweiten Gang, die Strecke, die Azime wenig später zu Fuß zurücklegen würde, nachdem sie unter dem Vorwand, sie müsse zur Toilette, vom Tisch aufgestanden war.
»Mir ist schlecht. Ich kotze gleich.«
»Meinetwegen. Aber nicht hier im Auto.«
»Ich habe schreckliche Kopfschmerzen.«
»Auch ein gutes Zeichen.«
»Ich falle in Ohnmacht.«
»Genau, wie es sein soll.«
»Ehrlich. Ich fühle mich total schwach. Und meine Hände sind nassgeschwitzt und zittern.«
»Das ist genau das, was die meisten Leute daran hindert, auf der Gewinnerseite zu stehen! Sie kommen bis zu diesem Punkt, fühlen sich beschissen, haben das Gefühl, sie müssten gleich kotzen, so wie du jetzt, genauso, und dann sagen sie sich, dass sie es nicht schaffen, dass sie die Sache nicht hinkriegen, also machen sie einen Rückzieher. Sie machen einen Rückzieher. Aus und vorbei. Für den Rest ihres Lebens Mittelmaß. Sie halten den Druck nicht aus. Den Druck, der Erste zu sein. Sie sind Mitläufer. Schau dir doch an, was passiert ist, sobald einer die Meile unter vier Minuten gelaufen war. Roger Bannister. Schau dir all die Leute an, die bloß drauf gewartet haben, dass jemand das als Erster schafft, damit sie es ihm dann nachmachen können. Kaum hat Roger Bannister weniger als vier Minuten gebraucht, kann das plötzlich jedes Arschloch. Mittlerweile packt jede dritte Oma die Meile in weniger als vier Minuten. So geht das. Menschen sind Mitläufer, Azi. Sie sind darauf programmiert, Nachahmer, Mitläufer, Herdentiere zu sein, wenn du verstehst, was ich meine. Es gibt nur wenige, die die Führung übernehmen können. Nur echte Gewinnertypen halten den Druck aus, durchbrechen die Schmerzgrenze, gehen dahin, wo vor ihnen noch niemand war, und dann kommen sie auf der anderen Seite an, da, wo die Lichter sind und die Menschen einen lieben, wo Eimer nicht dazu dienen, das Wasser aufzufangen, das von der Decke tropft, nein, da sind die Eimer aus Silber und drin stehen Champagnerflaschen. Mut. Du brauchst jede Menge Mut, Mann. Und Phantasie. Und du musst an dich glauben. Sonst bleib einfach zu Hause. Misch dich unter die Zuschauer. Kauf dir eine Eintrittskarte und setz dich hin, wie ein Niemand, und schau dir an, wie die Mutigen brennen.«
Azime schüttelte den Kopf. So
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