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funny girl

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Titel: funny girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony McCarten
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›hinter dem Vorhang‹ berichtet, ist etwas, das in der hitzigen internationalen Debatte über das Verhältnis des Islams zum Westen bisher vollkommen gefehlt hat.
    Als Kritiker fühlt man sich normalerweise nicht dazu aufgerufen zu sagen, dass eine Kultur einen bestimmten Entertainer braucht, doch bei Azime – »einfach nur Azime« – kommt man in Versuchung, so etwas zu sagen.
    Aristot saß mit einem aufgeschlagenen Exemplar des Guardian am Frühstückstisch und wartete. Auf Seite fünf prangte ein halbseitiges Foto seiner Tochter. Ja, das war seine Tochter. In einer Burka. In der Zeitung. Unmöglich. Seine viel zu moderne, viel zu britische Tochter trug einen Niqab? Das konnte nicht wahr sein. Und doch waren das ihre Augen. Es hätten fast ebenso gut seine eigenen sein können. Und der Artikel bestätigte, ja, er posaunte es geradezu hinaus, dass sie es war: »Azime Gevaş aus Hackney, Nordlondon.« Ebenso hätte da stehen können: »Tochter von Aristot Gevaş, Möbelhändler und Gespött von Green Lanes, Nordlondon.« Das musste man sich ansehen! Wie sie da auf der Bühne eines »Comedy-Clubs« stand, wo Witze gemacht wurden, wo gelacht wurde, wo die Leute den Kopf in den Nacken warfen und Geräusche wie Schweine von sich gaben, grunzten, pöbelten, und seine Tochter war Gegenstand nicht des Gelächters, sondern des Spotts!
    Aristot hielt die Zeitung mit ausgestrecktem Arm von sich, als sei sie verseucht. Die erste muslimische Bühnenkomikerin der Welt. Das war ja für sich schon ein Witz, aber keiner, von dem man fürchten musste, dass er je wahr werden oder lustig sein könnte.
    Nach der Lektüre des Artikels, von dem er nicht alles verstanden hatte, fühlte Aristot sich wie betrunken. Es war erst acht Uhr morgens. Einer der Angestellten im Laden hatte die Zeitung in aller Frühe vorbeigebracht, atemlos vor Aufregung. Es kam ja nicht alle Tage vor, dass einer von ihnen groß in der Zeitung stand, die Aufmerksamkeit des ganzen Landes erregte. Genauer gesagt, war es noch nie vorgekommen. Niemals. Nicht hier bei ihnen. Etwas wie Azime hatte es in der Geschichte der Kurden von Green Lanes noch nie gegeben. Wenn also das, was sie da getan hatte, der Gemeinschaft zur Schande gereichte, dann musste es Schande von monumentalem Ausmaß sein.
    »Sprich!«
    Azime hatte Lampenfieber, als sie jetzt im heimischen Wohnzimmer stand. Genau so fühlte es sich an: wie Lampenfieber. Wie gestern Abend, als sie schreckensstarr vor den Zuschauern gestanden hatte, nur schlimmer. Sie hatte keine Erklärung; nichts, was sie ihrem Vater sagen konnte, würde ihm das, was sie getan hatte, verständlicher machen oder dafür sorgen, dass ihm wohler dabei zumute war.
    Er schob seine Lesebrille auf die Nase, hielt die Zeitung nun wieder näher vors Gesicht, sehr nah sogar, und las – mit bebender Stimme:
    »›So nennt sie sich auf der Bühne, Azime Gevaş… aus Hackney… Schülerin?‹« (Er sah sie über den Brillenrand an.) »›… der… Hackney? Comedy-Schule?‹« Das ist ja eine ulkige Art, Möbel zu entwerfen. Wenn man sich vor einen Haufen Fremder hinstellt und widerliche Witze erzählt.«
    Ebenfalls in der Küche versammelt waren Zeki, Sabite und ihre beiden Neffen Raza und Omar, beide Ende zwanzig, beide erfolgreiche Gebrauchtwagenhändler. Sabite hatte sie herbestellt, hatte ihnen ausrichten lassen, es gebe großen Ärger und ihr Rat werde gebraucht. Ein Notfall in der Familie. Raza und Omar waren Könige auf den Straßen des Viertels, trugen Seidenhemden, schicke Lederjacken, schwere Schlüsselbunde in den Taschen und Brillantringe an den Fingern, obwohl sie beide unverheiratet waren. Sie waren Männer von Welt und hatten mehr Geld, als Gebrauchtwagenhändler von Rechts wegen haben sollten. Doch Fragen wurden keine gestellt.
    »Ich wollte doch nur mal was zu lachen haben«, warf Azime ein.
    »Pschscht!«, befahl Sabite mit erhobener Hand.
    Nun war wieder alles still. Blicke gingen hin und her. Ein Beschluss war bereits gefasst, von Eltern und Cousins gutgeheißen, und wurde nun von Aristot mit äußerstem Nachdruck vorgetragen: »Du hörst damit auf. Mit diesem unmoralischen Zeug. Hast du mich verstanden? Du machst das nie wieder. Nie-, nie-, niemals.«
    Azime antwortete nicht. Die Augen von Cousins, Bruder, Eltern waren wie Bohrer in weichem Holz.
    Jetzt war ihr Cousin Raza an der Reihe. » Azime, hör auf deinen Vater. Du bist albern und kindisch. Es ist eine Schande. Heirate und werde anständig wie andere

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