funny girl
eine hohe Luftfeuchtigkeit wegen der nassen Handtücher, die auf den Heizkörpern trockneten, und dahinter löste sich überall die Tapete. Die Wände waren mit braunen Flecken übersät wie eine alte Landkarte, und im Erkerfenster waren Stores vorgezogen, zum Schutz vor dem Verkehr, der nur wenige Meter vor den Scheiben vorbeidonnerte. Die Fenster wurden nie geöffnet. An diesem Morgen roch Azime noch die Mahlzeit des Vorabends. Sie registrierte das alles und hielt Ausschau nach neuen Indizien, die ihr Aufschluss über die wahren Verhältnisse in Banus häuslichem Leben geben konnten. Denn Banu schwieg sich aus über ihr Glück, dessen Gründe, dessen Ausmaße, und so musste Azime Detektiv spielen. Ein Reiseprospekt auf dem Tisch – wer fuhr wohin und weswegen? Eine Mahnung wegen der unbezahlten Stromrechnung – bekamen sie das Geld nicht mehr zusammen? Das Haus war weniger aufgeräumt als sonst – was sollte man daraus schließen?
»Tut mir leid«, sagte Banu. »Ich kann dich nur für eine oder zwei Nächte unterbringen, mehr erlauben meine Schwiegereltern nicht. Schließlich sind sie die Eigentümer.« Außerdem wisse ihr Mann bereits alles über ihren Auftritt im Comedy-Club.
»Woher? Wie hat er davon erfahren?«, fragte Azime. »Sind alle plötzlich über Nacht Guardian -Leser geworden?«
»Die Männer haben sich gegenseitig angerufen. Solche Nachrichten verbreiten sich schnell, und das ganze Viertel redet über dich.«
Beim Tee kamen sie wieder auf angenehmere Themen. Doch trotz aller Freundschaft konnten sie beide nicht verbergen, dass ihre Ansichten grundverschieden waren.
»Bist du denn nicht stolz auf deine Familie?«, fragte Banu.
»Klar bin ich das.«
»Liebst du sie?«
Azime nickte.
»Respektierst du sie?«
Nun, das war eine andere Sache. Azime fragte sich, ob Kinder ihre Eltern respektieren mussten. Was, wenn die Eltern im Unrecht waren, falsche Überzeugungen, einen falschen Glauben, falsche Maßstäbe hatten – musste man sie dann immer noch respektieren? Und hatten ihre Eltern sich nicht auch gewehrt, waren sie nicht auch Rebellen? Kinder einer Tradition, eines wunderschönen, unbekannten Landes ohne Staat, weit, weit weg – Kurdistan! – Teil der islamischen Welt, deren große Zeit längst vorüber war? Hatten ihre Eltern nicht auch die Tradition ihrer Eltern missachtet, waren nicht auch sie vor den elterlichen Idealen davongelaufen, um in einem neuen Land neu anzufangen? Hatten sie nicht von dem demokratischen Recht Gebrauch gemacht, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, wenn sie einen nicht glücklich machte? Azime war immer noch eine Gevaş – jetzt mehr denn je. »Ich war wütend. Ich bin einfach nur weggelaufen. Ich war blind vor Wut. Aber ich kann so nicht weiterleben. Auf Schritt und Tritt vorgeschrieben bekommen, was ich tun soll.«
An dem niedrigen Couchtisch, auf dem vier Perlenuntersetzer für die heißen Teetassen lagen, beschrieb Azime die Ereignisse des letzten Abends, erzählte sogar von der vorgetäuschten Verabredung mit einem Mann, den sie einfach sitzengelassen hatte, weil sie nie von der Toilette zurückgekommen war.
»Mein Gott, Azi, das ist ja schrecklich!«, rief Banu. Doch so schockiert sie sich auch gab, so wenig konnte sie verhindern, dass sich auf ihrem Gesicht derselbe verzückte Ausdruck abzeichnete wie früher, als sie als Kinder auf den Straßen und Plätzen von Green Lanes gemeinsam ihre kleinen Streiche ausgeheckt hatten. Wirklich entsetzt war sie jedoch, als Azime den Angriff auf Deniz’ Auto beschrieb, bei dem sie – so wie Azime es berichtete – um ihr Leben hatten fürchten müssen.
»Du musst sofort damit aufhören«, warnte Banu. »Ich mein’s ernst. Das ist gefährlich.«
»Ich weiß. Aber ich lasse es mir nicht befehlen. Wie käme ich dazu? Wenn ich aufhöre, dann weil ich meine eigenen Gründe dafür habe. Kannst du dir vorstellen, dass mein eigener Bruder mich geschlagen hat?« Sie betastete ihre linke Wange und dachte an Zekis Hand.
»Das wundert mich nicht.«
Azime schüttelte den Kopf. »Wie kannst du das sagen?«
»Na, du weißt doch selbst, wie Zeki ist. Beim kleinsten Anlass schlägt er zu.«
»Das heißt, ich bin selber schuld?«
»Männer sind nun mal Männer. Wir wissen doch, wie sie sind. Wir dürfen sie nicht herausfordern.«
Von der eigenen Freundin verraten! Unglaublich, was Banu da sagte. Wie traurig das war. Noch einmal schüttelte Azime den Kopf. » Hörst du eigentlich, was du da redest? Sag, dass das nur
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