funny girl
Balkonbrüstung gestoßen und dann mit angesehen habe, wie sie in die Tiefe stürzte. Azime könnte den Bruder unten vor dem Eingang des Hochhauses abpassen, auf ihn zugehen und nach und nach sein Vertrauen gewinnen. Wer weiß, vielleicht war ihr Diktiergerät ja leistungsfähig genug, um seine Aussage heimlich aufzunehmen. Das wäre doch was! Aber dafür müsste sie den Bruder an einen stillen Ort lotsen, in ein Café zum Beispiel. Ja, genau, in ein Café. Ihr Herzschlag beschleunigte sich allein beim Gedanken. Sie diktierte: »Diktiergerät«, und dann »Café« und, nach einer Pause, »Ende«.
Als Banu und ihre Schwiegermutter vom Einkaufen zurückkamen, hatte Banu kaum Gelegenheit, ihren Gast vorzustellen, bevor sie in die Küche gezerrt und dort wegen Azime in die Mangel genommen wurde. Azime blieb allein auf der modernen Couch zurück, hörte nebenan die geflüsterten missbilligenden Kommentare, und die allgemeine Empörung wurde noch greifbarer, als mit Einbruch der Dunkelheit Banus Mann nach Hause kam. Azime durfte zwar mit ihren Gastgebern abendessen, doch bei Tisch wurde wenig gesprochen, und keiner richtete das Wort an sie.
Banus Mann, Helmet, war klein, dunkel, muskulös, glattrasiert, stattlich auf eine zu maskuline Art für Azimes Geschmack. Er sah Azime kaum an. Die Freundschaft zwischen seiner Frau und Azime war ihm seit je ein Dorn im Auge gewesen. Jetzt endlich hatte er einen konkreten Grund dafür. Azime, die die unausgesprochene Feindseligkeit nicht mehr aushielt, zog sich bald zurück; sie sei müde, sagte sie und ging zu Bett. Später hörte sie, wie die beiden sich auf der anderen Seite der dünnen Wand stritten. War das Banu, die für Azime das Recht zu bleiben erkämpfte? Zuerst brüllte Banu. Dann Helmet. Beide klangen wütend. Wo immer sie dieser Tage hinging, sorgte Azime für Streit. Liebe Banu – es tut mir leid, dass du dich streiten musst, damit ich bleiben kann! Was wären wir ohne unsere Freunde?
Am nächsten Morgen hörte sie, wie die Haustür zugeschlagen wurde, und kurz darauf klopfte es leise an ihrer Zimmertür.
Banu setzte sich auf die Bettkante und erzählte, sie hätte ihren Mann immer noch nicht so weit, dass er Azime länger als eine weitere Nacht beherbergen wolle. »Aber ich geb nicht auf. Wie hast du geschlafen?«
»Gut.«
»Was hast du heute vor?«
Azime erzählte, dass sie nicht aufhören könne, an das tote Mädchen zu denken.
»Wieso?«
»Ich weiß auch nicht.« Was sie damit sagen wollte, war, dass sie es vorziehen würde, nicht ständig vor sich zu sehen, wie das arme Mädchen fiel, wieder auferstand, wieder glücklich und verliebt auf dem Balkon stand und dann erneut in die Tiefe stürzte – ein ewiger Reigen von Tod und Auferstehung, der einfach nicht enden wollte. »Ich versuche, nicht daran zu denken.«
»Sag mir wenigstens, dass du diese Comedy-Geschichte aufgeben wirst.«
Azime überhörte die Frage und sagte stattdessen: »Ich hab ganz vergessen, dir davon zu erzählen. Ich hab ihn lachen sehen. Lachen. Den Vater des Mädchens. Auf der Straße.«
»Na und?«
»Laut. Schallend.«
»Na und?«
»Jetzt sehe ich ihn ständig vor mir, wie er dasteht und lacht, höre noch genau den Klang, kurze, laute Explosionen, wie ein Maschinengewehr, ha!ha!ha!ha! Wie kann ein solcher Mann – ein solches Schwein – nur solche Laute von sich geben? Verliert man die Fähigkeit zu lachen wirklich nie? Ich finde, das sollte man. Ich finde, wenn man etwas wirklich Schreckliches getan hat, dann sollte man nie wieder lachen können. Das sollte die Strafe dafür sein, und zwar lebenslänglich.« Sie griff zu ihrem Handy, suchte das Foto und zeigte es ihrer Freundin.
»Was soll denn das sein?«, fragte Banu neugierig.
»Eine Betonplatte mit einem Riss. Unter dem Balkon, von dem sie sie geworfen haben. Nur die eine Platte hat einen Riss. Siehst du hier. Die Dreckskerle.«
»Wieso hast du denn das fotografiert?«
»Vom Aufprall ist der Stein gesprungen.«
»Woher weißt du das?«
»A ls ich den Stein sah, war es mir plötzlich klar. Ich wusste es einfach.«
»Jetzt steh auf«, forderte Banu ihre Freundin auf und verließ das Zimmer. Azime blieb noch eine Weile liegen und hörte Banu in ihrem Schlafzimmer rumoren, und nach einer Weile wurde ihr klar, dass ihre Freundin nicht zurückkommen würde.
Sie klopfte bei Deniz an die Tür. Er machte auf. Sie sagte, er habe ihr Leben ruiniert. Er fragte, ob sie hereinkommen wolle.
Sie saßen beisammen und resümierten die
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