funny girl
Jetzt war sie nicht mehr der aufsteigende Stern am Comedy-Himmel, aber sie war hoffentlich wieder jemand, den niemand umbringen wollte.
11
Im Frauenbereich der Moschee in der Wightman Road verneigte sich Sabite tief und feierlich, im gleichen Takt wie zwanzig andere Frauen. An ihrer Seite – endlich wieder – ihre Tochter. Azime, ihre lasterhafte Tochter, war nach Hause zurückgekehrt und hatte versprochen, von nun an ein braves Mädchen zu sein. Na ja, das würde man noch sehen.
Die knienden Gestalten rezitierten Gebete und verneigten sich tief, richteten sich auf und verneigten sich wieder, wie träge arbeitende Ölpumpen, immer auf und ab, berührten mit der Stirn die Gebetsteppiche in diesem uralten Akt der Verehrung für übernatürliche Mächte.
Sabite schloss die Augen in inbrünstigem Gebet und bat Allah um die üblichen Dinge: um Gnade, ja, Weisheit in ihren Entscheidungen, ja, Geduld, ja, die Belebung des Möbelmarkts, bitte, keine Anrufe von Döndüs Schule mehr, vor allem aber um einen Ehemann für Azime. Das war das Wichtigste. Irgendwo in Allahs wunderbarem Reich – vorzugsweise natürlich in London – musste es doch einen Mann geben, der in Azime die würdige Gefährtin sah, die sie in Sabites Augen immer noch werden konnte… wenn sie bloß lernte, den Mund zu halten, mehr zuzuhören, sich bescheidener und demütiger zu geben und eine gehorsame Dienerin zu sein, frei von jugendlichem Aufbegehren und der verheerenden westlichen Sehnsucht nach einem Leben, das aufregender war als vom Schicksal vorherbestimmt.
Allahs Plan – ja, das war es, was Sabite sich heute erhoffte: einen Hinweis darauf, was Allah mit ihrer Tochter vorhatte, einen Hinweis, den er ihr, wenn überhaupt, nur im Flüsterton erteilen würde, das wusste sie. Leise wie ein Blatt, das vom Baum fällt, allein weil sein Stiel angefault ist. So war die Stimme Allahs, und nur ein Mensch, dessen Lippen versiegelt waren, konnte hoffen, dieses Wispern zu vernehmen. Lästerliches Reden – und widerwärtige Scherze – führten nur zu Torheit und Untergang.
Sabites eigenes Leben war stets Gottes geflüstertem Plan gefolgt.
Sie wurde schon vor der Geburt einem Jungen aus einem benachbarten Dorf versprochen, und man verständigte sich auf ein Tauschgeschäft (pê-guhurk), bei dem ihr Vater sie dem Gevaş-Clan überließ und im Gegenzug dafür ein Mädchen aus der Familie Gevaş als Braut für Sabites Bruder erhielt. Gold und Bargeld für das naxt, das Brautgeld, flossen in beide Richtungen und glichen einander aus. Die eigentliche Hochzeit verzögerte sich um mehrere Jahre, weil in Sabites Dorf die Arbeitskräfte knapp waren, und fand erst statt, als sie sechzehn war. Die dreitägigen Feierlichkeiten am Ufer des Van-Sees endeten damit, dass ihr jugendlicher Ehemann Aristot zum ersten Mal mit ihr sprechen durfte. Als sich die Türen des Brautgemachs hinter ihnen schlossen, richtete Sabite ihre Gedanken auf die traditionelle Rolle der Frau als Dienerin.
Sabites Gefühle am Hochzeitstag? Sie war nervös, weil sie nicht wusste, was der symbolische Eintritt in die Welt der Erwachsenen mit sich bringen würde, aber auch erleichtert darüber, dass die großen Fragen ihres Lebens beantwortet waren.
Als Sabite neunzehn Jahre alt und schon Mutter war, tauchten in dem Dorf zwölf grüne Lastwagen auf. Die Lastwagen waren voll mit Regierungssoldaten, die in der Stadt Gevaş eine Hochburg der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei vermuteten.
Bei sechs von Aristots Cousins fand man Kalaschnikows , Pistolen oder Granaten. Da man sie (zu Unrecht) für Freiheitskämpfer der PKK hielt, verband man ihnen die Augen und erschoss sie hinter dem Blumenladen, dessen Inhaber, der pensionierte General Cemil Aydar, ebenfalls erschossen wurde, als er eben in seinem Sessel Pistazien aß.
Die Stadt wurde in Schutt und Asche gelegt, glich einer Mondlandschaft, und alle Überlebenden waren obdachlos. Also kehrten Sabite und Aristot und die kleine Azime dem Land der Aufrührer, wie ein Dichter es einmal genannt hatte, für immer den Rücken. Nach einem kurzen Aufenthalt in Istanbul im Jahr 1989 flohen sie nach London, wo sie ein entbehrungsreiches Leben führten, bis Aristot illegal eine Anstellung bei einem Möbelverkäufer fand, der Verbindungen zu Sabites Dorf hatte. Ihr einziger Trost war eine kleine, aber starke clan- und stammesübergreifende Gemeinschaft von kurdischen Asylbewerbern. Sie sprachen Kurmandschi, Sorani, Zaza und Gorani und hielten die alten
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