funny girl
weiter, ein älterer Mann saß und die Speisekarte studierte, an einem kleinen, für zwei gedeckten Tisch. Dieser Mann – dick und glatzköpfig und, seiner Brille nach zu urteilen, kurzsichtig – blickte nervös in Richtung Tür, dann wieder auf die Speisekarte.
Azime wandte sich wieder dem falschen Mann zu. »Ooo-kay. In Ordnung.«
»Du bleibst?«, erkundigte sich Emin.
Sie spielte ihre Möglichkeiten durch. Und da es nicht sehr viele gab – entweder sie blieb hier, oder sie ging nach drüben und setzte sich zu dem nervös wirkenden Mann mit der Speisekarte –, war sie schnell damit fertig. »Ich brauche ein Glas Wasser.«
»Natürlich.«
Er bestellte sofort ein Glas Wasser und reichte Azime dann über den Tisch die Hand. »Emin Kazan. Freut mich, dich kennenzulernen.« Sie schüttelten sich die Hand. »Und du bist…?«
»Azime. Einfach nur Azime.«
»Einfach nur Azime?«
»Einfach nur… Azime.«
Heimlich blickte sie noch einmal über die Schulter.
» Einfach nur Azime? Wie die Komikerin?«
Sie drehte sich wieder zu ihm um. »Was?«
Er beugte sich vor. »Wie die Komikerin? Aus Green Lanes? Einfach nur Azime? Das bist du? Das bist du? Mit der Burka auf der Bühne? Und erzählst Witze. Die erste muslimische Komikerin der Welt. Nennt sich ›Einfach nur Azime‹.«
Weder leugnen noch bestätigen, entschied sich Azime. »Ich habe wirklich Durst.«
Sie griff nach Emins Glas und trank daraus, und er lachte. » DU BIST ES , stimmt’s? Das bist du.«
»Kannst du bitte damit aufhören?«
»Ich hab über dich im Guardian gelesen und deinen Clip auf YouTube gesehen. Du bist wirklich sensationell.«
Er sah überhaupt nicht bedrohlich aus, im Gegenteil, sogar ziemlich süß. Sie würde lügen, wenn sie behauptete, sie sei nicht daran interessiert, dass er sich für sie interessierte. Was konnte es schon schaden, wenn sie nicht abstritt, dass sie die Azime seiner Träume war?
»Du bestreitest es nicht, also gehe ich mal davon aus, dass du es bist. Wow. Ist ja Wahnsinn. Du bist eine Berühmtheit. Und die Burka ist also nur für die Bühne?«
Azime hielt ihren Mund. Weder leugnen noch bestätigen: Wenn diese Taktik gut genug fürs amerikanische Militär war, dann war sie auch gut genug für sie.
»Heute bei der Arbeit haben wir noch über dich geredet. Und einer von den Jungs hat auf YouTube gesucht. Wir haben uns zusammen den Clip angesehen. Du bist wirklich witzig.«
Döndü hatte recht, Azime war nicht berühmt, sie war berüchtigt. Das Amulett um ihren Hals hatte sie nicht beschützt. Bei dem YouTube-Clip waren schon fast hundert Kommentare zusammengekommen, Tausende hatten ihn gesehen. Und darunter waren Kommentare wie:
sie ist vielleicht nicht witzig, aber keiner sollte morddrohungen bekommen. ehrlich!
Dweebblast23
Azime, ich hoffe du ritzt dich und kriegst essstörungen
Medhi77
zugegeben, morddrohungen wegen so etwas, das ist übertrieben und unpassend.
aber man muss auch zugeben, dass sie als komikerin echt scheiße ist.
löschmichgleichzweimal
Azime hatte gelesen, die Leute fänden keinen Gefallen mehr an öffentlichen Hinrichtungen, aber das stimmte nicht: Die Leute machten immer noch begeistert bei einer Steinigung mit, und auch wenn die Steine Azime noch nicht umbrachten, hatten sie sie doch in die Knie gezwungen.
Emin sagte: »Ich fand deinen Auftritt toll. Das, was ich im Clip gesehen habe. Ich war so überrascht, dass eine Frau aus unserer Gemeinde sich auf die Bühne traut. Alle waren überrascht.«
Sie nickte. Nervös wartete sie darauf, dass endlich ihr Wasser kam, immer noch unschlüssig, ob sie den älteren Mann in der Ecke ansprechen oder sofort nach draußen rennen und den Bus nach Hause nehmen sollte. Noch einmal drehte sie sich um und musterte kurz den echten Heiratskandidaten. Der Mann, der gerade seine Brille zurechtrückte, hielt sich die Speisekarte ganz nah vor die schwachen Augen; er sah sogar noch älter und dicker und haarloser aus als bei der ersten kritischen Musterung, als altere er im Rekordtempo, verliere mit jeder Sekunde an Tauglichkeit zum Ehemann. Azime setzte sich wieder gerade hin und betrachtete den schönen jungen Mann vor sich, der im Kontrast mit jedem Moment besser aussah, und da ging ihr auf, dass ein gewisses Minimum an Attraktivität doch sein musste, bevor eine Frau auf die Idee kam, einen Mann zu heiraten. Eine verzweifelte Mutter war noch kein Grund für eine Ehe mit einem Mann, der keinerlei Reiz besaß.
Emin. Saß da vor ihr. Lächelte.
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