funny girl
Schulzeit, dem Schock, als sie von ihrem Tod erfuhr, dem Zwischenfall bei der Beerdigung, sogar von dem Riss in der Betonplatte sprach sie, davon, wie der Vater des toten Mädchens gelacht hatte, und schließlich von der Telefonnummer, verschlüsselt im Tagebuch, die Azime hierhergeführt hatte.
Kamile nickte mitfühlend: »Also – ich kann bestätigen, dass sie herkam, das kann ich. Sie wollte mit jemandem sprechen. Wir haben ihr für ein paar Wochen Unterkunft hier gewährt und auch Beratungsdienste angeboten. Ich bekam den Auftrag, mit ihr zu sprechen. Wir haben uns dreimal unterhalten. Aber als ich sie fragte, was vorgefallen sei, wollte sie es nicht sagen. Bei den ersten beiden Gesprächen hat sie überhaupt nichts preisgegeben, obwohl sie sichtlich litt. Aber bei ihrem letzten Besuch fragte sie, ob sie eine Erklärung aufzeichnen könne, eine, bei der sie ganz allein im Raum sei. Also stellten wir eine Kamera auf. Ich schaltete sie ein und ließ sie allein.«
Azime stockte das Herz. Eine Aufzeichnung? Eine Erklärung? »Haben Sie sich die Aufzeichnung je angesehen?«
Kamile nickte. »Die Polizei hat sie sich ebenfalls angesehen. Wir haben eine Kopie hier, aber die kann ich Ihnen nicht zeigen. Wir haben Vertraulichkeit zugesichert.«
Azime löste das Tuch, das ihr Gesicht verdeckte. Sie musste sich zeigen für das, was sie sagen wollte, zeigen, wie nahe ihr die ganze Sache ging. »Wo ist die Aufnahme jetzt?«
Kamile legte den Kopf schief; die Augen unter den dunklen Brauen blickten freundlich. »Warum sind Sie hier?«
»Das habe ich Ihnen doch eben gesagt.«
»Warum sind Sie wirklich hier?«
»Weil… ich finde… dass etwas getan werden muss. Es war kein Unfall. Es war ein Ehrenmord, ich weiß es!«
»Kein anderer Grund? Kein persönlicher Grund?«
Azime konnte nicht antworten.
»Kein persönlicher Anlass dafür, dass Sie sich solche Mühe machen?«
»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Sind Sie vielleicht selbst in Schwierigkeiten?«
Azimezuckte mit den Schultern, nickte verhalten. »Aber deswegen bin ich nicht –«
»Möchten Sie darüber sprechen?«
»Eigentlich nicht.«
»Sind Sie jetzt im Augenblick in Sicherheit? Oder in Gefahr?«
Was war die Antwort? »Gefahr.«
»Wer bedroht Sie?«
Diese Frau machte ihre Sache sehr gut, dachte Azime. In ihrer Gegenwart hätte sie beinahe alles herausgelassen, was an Gefühlen in ihr unter Verschluss lag.
»Ich habe ein paar Leute in Rage gebracht. Mit dem, was ich getan habe. Das ist alles.«
»Möchten Sie darüber sprechen? Ich habe Zeit.«
»Könnte ich diese DVD sehen? Würden Sie sie mir zeigen?«
»Ich würde lieber über Sie sprechen.«
»Schon in Ordnung. Ich komme zurecht. Ich fühle mich einfach nur schuldig. Dieses Mädchen hat mich für ihre beste Freundin gehalten. Dabei haben wir nie richtig miteinander geredet, eigentlich nur ein Mal. Ich habe sie kaum beachtet. Und jetzt ist sie tot.«
»Ich verstehe.«
»Im Leben habe ich sie missachtet, und ich bin es ihr schuldig, dafür zu sorgen, dass sie nicht auch noch im Tode missachtet wird. Und das wird sie.«
»Das ist wichtig für Sie? Dass man nicht missachtet wird?«
Azime nickte.
»Jemand versucht, Sie am Reden zu hindern?« Azime nickte erneut.
»Und Sie widersetzen sich?«
Keine Antwort.
»Und dadurch sind Sie in Gefahr geraten?«
Erneut keine Antwort.
»Okay. Ich verstehe. Und Sie stellen sich vor, dadurch, dass Sie Ihrer Freundin helfen – indem Sie heute hierherkommen –, können Sie vielleicht verhindern, dass das, was ihr widerfahren ist, auch Ihnen widerfährt?«
Keine Antwort.
»Wir haben sieben Tage die Woche geöffnet, Azime, falls Sie Unterstützung brauchen.«
»Ich hätte nicht kommen sollen. Verzeihen Sie.«
»Sehen Sie denn nicht, wie wichtig es für Sie selbst war, dass Sie gekommen sind? Ich bin sehr froh, dass Sie es getan haben.«
»Ich muss gehen. Ich fühle mich so schlecht dabei. Sie wollen mir sagen, ich bin selbstsüchtig, ich tue das für mich –«
»Warten Sie.«
Aus einem braunen Umschlag holte Kamile eine DVD in einer Plastikhülle und legte sie mit einer vielsagenden Geste auf den Tisch. »Diese… diese DVD ist vertraulich. Ich habe nicht das… nicht das Recht, sie Ihnen zu zeigen. Da Sie weder zur Polizei noch zum Sozialamt noch zur Einwanderungsbehörde oder zur Rechtshilfe gehören, sind Sie nicht berechtigt, sich die Aufzeichnung anzusehen. Aber. Ich hätte jetzt gern eine Tasse Kaffee. Ich glaube, ich gehe
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